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Nr. 100, September 2017 - Leitartikel

Bundestagswahl: Wer vertritt die Interessen der arbeitenden Bevölkerung?

Man kann es nicht mehr hören, dass es den Menschen nach 12 Jahren CDU-Regierung angeblich „so gut geht wie nie“. Welchen Menschen? Den Millionen, die von der Arbeit Rücken und Nerven kaputt haben und die wissen: Selbst wenn sie bis 67 arbeiten könnten, bekämen sie eine Rente an der Armutsgrenze? Den mittlerweile 40%, also fast der Hälfte aller Arbeiter, die sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten Teilzeitjob hangeln müssen?

Nein, „so gut wie nie“ geht es in Deutschland nur einer Minderheit: Managern wie dem Ex-VW-Chef, der 3.100 Euro Rente pro Tag kassiert, während die VW-Arbeiter und Verbraucher für seinen Betrug bezahlen. Und vor allem den Kapitalisten. Deren Vermögen ist in den letzten 12 Jahren explodiert. Die 36 reichsten Deutschen (die Besitzer von BMW, Lidl...) besitzen heute so viel wie die Hälfte der Bevölkerung!

Diesen Kapitalisten geht es deshalb so gut, weil die Regierung ihnen alle Gesetze zur Verfügung stellt, um uns immer rücksichtsloser auszubeuten. Und weil sie den Kapitalisten das öffentliche Geld schenkt, das sie bei uns einspart.
So ermöglicht sie Pharmakonzernen, privaten Kliniken und Banken, Milliarden aus dem Gesundheitswesen herauszusaugen. Und schließt dann Krankenhäuser, um dieses Geld wieder einzusparen. So läuft es überall! Bei Kitas, Rente, Wohngeld oder Brücken wird jeder Cent dreimal umgedreht. Doch für Rüstung, also für Aufträge an Waffenkonzerne und für Krieg, will die CDU jährlich 20 Milliarden Euro mehr ausgeben!

Dass die CDU trotzdem so viele Stimmen bekommt, liegt auch daran, dass ihre Rivalen dieselbe Politik vertreten. Die FDP tut dies offen. Ihr Spitzenkandidat erklärt uns dreist: Wer nicht privat vorsorge, sei selber schuld, wenn er später wenig Rente bekomme. Doch man könne dann ja länger als bis 67 arbeiten und so die Rente aufbessern!
Die AfD hat dasselbe Renten-Programm, und auch sie fordert noch mehr „Freiheit“ für die Kapitalisten, uns auszubeuten. Doch sie ist noch schlimmer: Sie versucht obendrein, die Schuld für Unsicherheit, Armut und Krieg, die die Kapitalisten verursachen, einem Teil der Arbeiterklasse in die Schuhe zu schieben: den Arbeitern ausländischer Herkunft, gegen die sie mit den widerlichsten Sprüchen hetzt.

Was nun Martin Schulz angeht, da brauchte es kein Fernseh-Duell: Nach 6 Jahren SPD-Regierung unter Schröder und seitdem 8 Jahren, in denen CDU und SPD gemeinsam regiert haben, weiß jeder, dass zwischen CDU und SPD kein nennenswerter Unterschied besteht. Die SPD hat die Hartz-Gesetze eingeführt, sie hat zusammen mit Merkel die Rente ab 67 eingeführt. Und wir können uns darauf verlassen, dass sie auch die nächsten Verschlechterungen mit beschließen würde.

Die Linke ist die einzige, die ab und zu von den täglichen Sorgen der einfachen Bevölkerung spricht und die Ausbeutung der Konzerne anprangert. Daher ist es angenehmer, ihr zuzuhören als den anderen. Doch eine Perspektive hat auch sie den Arbeitern nicht zu bieten. Ihre Hoffnung besteht darin, kleiner Koalitionspartner in einer SPD-Regie-rung zu werden. Was bedeutet, die Politik der SPD umzusetzen – genau das, was sie in den Landesregierungen tut.
Ja, die Kapitalisten haben zig Parteien, die für sie regieren wollen. Und ihre arbeiterfeindliche Politik ist sich so ähnlich, dass sie letztlich in allen Koalitionen miteinander regieren können.

Unter all den Kandidaten erweckt Merkel mit ihren 12 Jahren Kanzlerschaft die Hoffnung, sie könne für eine gewisse Stabilität sorgen – und damit wirbt sie auch. Doch die kapitalistische Wirtschaft steckt weltweit in der Sackgasse. Sie steht auf so wackeligen Beinen, dass jedes Problem irgendwo auf der Welt eine neue weltweite Börsen- und Wirtschaftskrise auslösen kann – mit noch schlimmeren Folgen als die Krise 2008/2009. Die Hoffnung auf „Stabilität“ im Kapitalismus ist daher eine Illusion.
Die weltweite Krise und Unsicherheit hilft auch unberechenbaren Demagogen wie Trump, an die Macht zu kommen. Und sie führt zu immer härterer Konkurrenz, zu aggressiveren politischen und militärischen Spannungen, die in kurzer Zeit zu bedrohlichen Situationen werden können. Um nur von Deutschland zu reden: Wer hätte gedacht, dass die Beziehungen zwischen dem deutschen und dem türkischen Staat in so kurzer Zeit dermaßen eskalieren könnten?

Diese ganze Entwicklung ist unabhängig davon, wer an der Spitze der deutschen Regierung steht. In welchem Tempo der Arbeitsplatzabbau weitergeht, wie viele in Armut gedrängt werden oder ob wir gar Kriege erleben, all das hängt von der Entwicklung der kapitalistischen Krise ab.
Wir Arbeitenden müssen uns daher darauf vorbereiten, uns mit unseren eigenen Mitteln gegen die kommenden Angriffe zu wehren. Und letztlich darauf, das ganze System in Frage zu stellen.
Denn die Menschheit wird nur eine Zukunft haben, wenn sie den Kapitalismus mit seiner Profitlogik durch ein System ersetzt, in dem die Betriebe und technischen Möglichkeiten in den Händen der Arbeitenden sind – und das hergestellt wird, was die Menschen brauchen.

In den heutigen Wahlen gibt es keine Partei, die eine solche Perspektive vertritt. Und das ist das Problem. Die Arbeiterklasse braucht wieder eine Partei, die in den Betrieben, Stadtteilen und auch in den Wahlen die Interessen der Arbeiter vertritt. Und die nicht zuletzt daran erinnert, dass die Arbeiterklasse alles in dieser Gesellschaft am Laufen hält, und dass sie daher die Kraft und die Möglichkeit hat, eine andere Gesellschaft aufzubauen, in der es keine Unterdrückung und Ausbeutung mehr gibt.

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