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Nr. 156, August 2022 - Leitartikel

Warum sollen wir Arbeitenden ihren Gas-Krieg bezahlen?

Schon jetzt haben die Gas- und Stromkonzerne für viele von uns die Preise verdoppelt. Schon jetzt wissen viele Menschen kaum noch, wie sie ihre Einkäufe, Rechnungen und Raten bezahlen sollen. Und nun noch bis zu 1.000 Euro Gas-Umlage! Gekrönt durch zynische „Sparvorschläge“ der Politiker, wir sollten doch die Heizung runterdrehen, Sparduschköpfe kaufen oder beim Autofahren weniger Gas geben.

Die Regierung will mit der Umlage die Gas-Konzerne „retten“, die kaum noch Gas aus Russland bekommen und jetzt teures Gas auf dem Weltmarkt kaufen müssen. Doch warum sollten wir Arbeitenden die Rettung bezahlen?
Warum zahlen sie nicht die Energiekonzerne, die Ölkonzerne und RWE von seinem verdoppelten Gewinn? Warum nicht all die anderen Konzerne mit ihren Milliardengewinnen? Sie alle bereichern sich an den explodierenden Preisen – während Millionen Arbeiterhaushalte verarmen!

Dieser Kontrast ist so offensichtlich, dass selbst die Regierung so tun muss, als würde sie über eine extra Steuer für einzelne Konzerne nachdenken. Doch von denen würden sie zum Schein höchstens winzige Summen verlangen.

Sie faseln zwar viel von einer „sozial gerechten“ Verteilung der Lasten. Doch am Ende werden die Kapitalisten und die Regierung alle Kosten auf uns abwälzen: durch noch höhere Preise und durch massive Sparmaßnahmen in den Betrieben und in den öffentlichen Einrichtungen. Erste Sportanlagen und sogar Schulen haben schon das Heißwasser abgedreht.
Uns Arbeitende wird niemand retten – außer wir tun es selber!

Das Bodenpersonal der Lufthansa hat mit massiven Warnstreiks 200 Euro mehr Lohn sofort, weitere 125 Euro im Januar plus 2,5% mehr Lohn Mitte nächsten Jahres erkämpft. In den Häfen kämpfen Arbeitende für einen „vollständigen Inflationsausgleich“. Das ist unsere einzige Möglichkeit, nicht von den steigenden Preisen erdrückt zu werden. Es ist der Kampf, den wir mit möglichst vielen Arbeitenden gemeinsam aufnehmen müssen.
Es ist lebenswichtig, in dieser Krise unsere Interessen gegen die Kapitalisten und die Regierung zu verteidigen. Umso mehr, weil uns noch viel massivere Einschnitte drohen, falls der russische Staat im Winter seine Gas-Lieferungen nicht wieder erhöht. Für den Fall drohen sie uns bereits mit massiver Kurzarbeit und Entlassungen – und damit, dass wir in unseren Wohnungen und auf der Arbeit frieren müssen.

Auch hier tun die Herrschenden so, als wären sie genauso unschuldige Opfer wie wir. Opfer von Putin, der keine Skrupel hat, Gas als Druckmittel zu benutzen, um eine Lockerung der Sanktionen zu erreichen.

Doch sie vergessen zu erwähnen, dass die Regierungen der USA und der EU als erste Sanktionen gegen Energielieferungen aus Russland eingeführt haben. Trotz bestehender Verträge haben sie den Import von Öl und Kohle aus Russland eingestellt, ebenso die Lieferung von Maschinen und Ersatzteilen für seine Öl- und Gasindustrie. Und sie haben angekündigt, künftig auch kein russisches Gas mehr zu kaufen.

Nur hatten sie wohl nicht damit gerechnet, dass die russische Regierung (die auf das Gas als Einnahmequelle angewiesen ist) mit den gleichen Methoden antworten würde. Denn USA und EU sind es gewohnt, dass nur sie die wirtschaftliche Macht haben, andere Länder ernsthaft unter Druck zu setzen.

Angeblich sollten die Sanktionen gegen Russland dazu dienen, den Krieg schnell zu beenden und Menschenleben in der Ukraine zu retten. Spätestens heute ist jedem klar, dass dem nicht so ist. Trotzdem werden die Sanktionen beibehalten. Denn sie hatten von Anfang an einen anderen Zweck. Sie dienten insbesondere den USA als Waffe in ihrem wirtschaftlichen und politischen Machtkampf mit Russland.
Die Bevölkerung in vielen Ländern bezahlt bereits für die Folgen dieses Machtkampfs. Die Unsicherheit, ob wir im Winter genug Gas haben, ist auch eine dieser Folgen.

Doch eines ist sicher: Genau wie bei den steigenden Preisen, Corona und anderen Krisen werden die Kapitalisten und die Regierung alles versuchen, um trotz Gasmangel die Profite zu schützen – und alle Folgen auf uns abzuwälzen. Ihre Aufrufe, heute schon Energie zu sparen, um „die Wirtschaft durch den Winter zu bringen“, sollen uns darauf gedanklich vorbereiten.

Sie versuchen uns zu beruhigen, dass dieser Verzicht nur so lange nötig sei, bis Deutschland bei der Energieversorgung „unabhängig“ wäre. Doch das ist eine Lüge. Zum Beispiel wollen einige jetzt die Atomenergie wieder nutzen. Doch woher kommt das hierfür notwendige Uran? Nicht aus Deutschland, dafür aber in großen Mengen… aus Russland und Kasachstan.
Und die „Abhängigkeit“ gilt nicht nur für die Energie. Keine Fabrik in Deutschland könnte ohne Rohstoffe und Vorprodukte aus der ganzen Welt produzieren. Die meisten Waren würde es ohne eine weltweite Produktion gar nicht geben.

Das wahre Problem ist, dass diese Produktion in einer Wirtschaftsordnung stattfindet, die in der Krise steckt; in der Konzerne und ihre Staaten daher immer aggressiver um die schrumpfenden Absatzmärkte kämpfen: mit Sanktionen, Handelskriegen und Kriegen, die den notwendigen Welthandel letztlich immer stärker behindern.

Mit Taiwan haben wir gerade erlebt, zu welcher Kriegsgefahr der wachsende wirtschaftliche Konkurrenzkampf zwischen den USA und China bereits führt. Wir können uns vorstellen, was es für einen dramatischen Rückgang der Produktion und unserer Lebensbedingungen gibt, wenn diese Entwicklung auch nur in Ansätzen zu Sanktionen und Handelskriegen führt wie mit Russland. Ganz zu schweigen davon, was passieren würde, wenn es zu einem Krieg zwischen den Großmächten kommt.

Das „Gebot der Stunde“ ist nicht, unter drastischen Einschränkungen zu einer „unabhängigeren“ Wirtschaft zu kommen. Denn das ist die Vorbereitung auf eine Kriegswirtschaft. Das Gebot der Stunde ist im Gegenteil, diese Entwicklung zu verhindern, die ihre Ursache im Kapitalismus und seinem erbarmungslosen Konkurrenzkampf hat.

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