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Nr. 78, September 2015 - Leitartikel

Flüchtlinge: Menschen wie wir… und Arbeiter wie wir

Es ist beeindruckend, wie viele Menschen seit Wochen den Flüchtlingen helfen, wie viele Nahrung, Spielzeug und Geld schicken, ihnen Unterkunft geben, bei Behörden helfen. Obwohl seit Jahren in den Medien gegen Migranten und Flüchtlinge gehetzt wurde, zeigen sie die selbstverständliche Solidarität, Menschen in Elend und Not einfach zu helfen. Und man kann nur hoffen, dass diese Welle der Solidarität auch das zukünftige Verhältnis zu den Flüchtlingen beeinflussen wird.

Die Flüchtlinge haben Monate und Jahre einer grausamen Irrfahrt hinter sich. Überall sind sie auf verschlossene Grenzen, auf Polizei und Armee gestoßen. Skrupellose Schleuser, lebensgefährliche Fahrten in überfüllten Booten oder Containern waren ihre einzige Möglichkeit, durch die Festungsmauern Europas zu dringen. Wie viele haben bei dem Versuch ihr Leben verloren! Wie viele weitere sitzen hungrig in Kroatien, Libanon oder Libyen fest!

Auch die deutsche Regierung hat die Flüchtlinge nicht aufgenommen, weil sie auf einmal ein Herz für die Armen und Ausgebeuteten entdeckt hätte. Sondern weil ein Teil es trotz aller Mauern geschafft hat, sich bis hier durchzukämpfen… und die Regierung irgendetwas tun musste.
Doch auch sie ist damit beschäftigt, noch mehr Hindernisse für die Flüchtlinge zu schaffen, das Asylrecht zu verschärfen und vor allem alle, die nicht direkt vor Bürgerkrieg geflohen sind, sofort wieder aus dem Land zu werfen.

Die Regierung behauptet, das seien gar keine wahren Flüchtlinge, sondern „Wirtschaftsflüchtlinge“, die einfach nur ein angenehmeres Leben führen wollten. Als ob es kein Grund zur Flucht wäre, wenn man Hunger hat, wenn man die Medikamente für sein Kind oder das Trinkwasser nicht bezahlen kann! Nein, niemand verlässt freiwillig seine Familie und nimmt leichtfertig die Monate und Jahre einer so lebensgefährlichen Flucht auf sich. Alle kommen, weil sie verzweifelt sind, weil sie in Westeuropa ihre einzige Hoffnung auf Leben sehen.

Die westeuropäischen Staaten und die USA tragen eine große Verantwortung für diese ausweglose Lage in vielen Ländern. Sie haben nicht nur viele dieser Länder als Kolonien ausgebeutet. Sie haben auch die meisten der heutigen Kriege geschürt, haben die Waffen für sie geliefert oder sie gleich selbst geführt. Ihre Banken und Konzerne haben mit ihrer skrupellosen Profitgier ganze Kontinente ausgeblutet und verelendet.

Die imperialistischen Staaten tun alles, um sich vor den Folgen ihrer zerstörerischen Politik abzuschotten. Doch keine noch so mörderische Grenzmauer, keine noch so brutale Abschiebepolitik wird die Verzweifelten davon abhalten, ihre Flucht zu versuchen.

Welche Interessen haben wir Arbeitenden in alledem? Sicher nicht, uns gegen die Flüchtlinge zu stellen. Nicht nur, weil jeder Arbeiter morgen der nächste sein kann, der auf der Suche nach Sicherheit und Arbeit in ein anderes Land ziehen muss. Wie vielen unserer Eltern oder Großeltern ist es so ergangen?
Es geht um mehr. Viele der Flüchtlinge werden Arbeiter, sie werden unsere zukünftigen Kollegen und Kampfgenossen sein. Sich heute nicht gegeneinander aufhetzen zu lassen, ist die Grundlage für den Zusammenhalt der Arbeiter im Betrieb. Und nur der macht uns gegen die Kapitalisten stark.
Viele fragen sich: Wie sollen wir hunderttausende Flüchtlinge würdig aufnehmen, wie sollen sie sich eine Existenz aufbauen, wo wir doch jetzt schon Millionen Arbeitslose und Arme haben?

Doch Arbeitslosigkeit und Einwohnerzahl haben nichts miteinander zu tun. Auch als kaum Migranten kamen, ist die Arbeitslosigkeit massiv gestiegen. Das Problem sind nicht die Flüchtlinge, sondern die Konzerne wie Siemens, Opel oder die Deutsche Bank, die aus Profitinteresse Betriebe geschlossen und massenhaft Stellen abgebaut haben.
Und auch Kommunen und Staat haben nicht auf die Flüchtlinge gewartet, um in Krankenhäusern zu sparen, Schulen zu schließen oder bei der Rente zu kürzen, um das Geld stattdessen den Banken und Reichsten in den Rachen zu werfen.

Nein, Arbeitslosigkeit und leere Kassen haben nichts damit zu tun, wie viele Einwohner es gibt. Sie sind einzig die Folge des Kampfes, den die kapitalistische Klasse gegen die Arbeiter führt. Wie viele Arbeiter könnten allein von den 15 Millionen Euro Gehalt leben, die der oberste VW-Manager jedes Jahr bekommt? Wir haben 123 Milliardäre in Deutschland: Ein kleiner Teil ihres Vermögens würde genügen, um ausreichend Arbeitsplätze für alle zu schaffen!

Nein, für die reichsten Länder wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien ist es kein Problem, ein paar hunderttausend, ja auch ein paar Millionen Menschen aufzunehmen. Unsere Zukunft hängt von etwas anderem ab: Davon, dass wir uns gegen die wahren Ursachen unserer Ausbeutung wenden. Wir müssen die Scheinlogik, wir könnten „nicht das Elend der ganzen Welt aufnehmen“ zurückweisen und stattdessen verkünden, dass „wir alle nicht mehr für die reichen Kapitalisten bluten wollen“.

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