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Nr. 35, Oktober 2011 - Internationales

Syrien: Eine Bevölkerung im Kampf gegen die Diktatur

Seit Mitte März – seit einem halben Jahr also – protestieren in Syrien Tag für Tag Zehntausende und Hunderttausende Menschen für mehr Freiheit und demokratische Rechte. Sie haben genug von der bitteren Armut und dieser Diktatur, die seit 50 Jahren ihr Leben bestimmt. Ihr Durchhaltevermögen ist umso beeindruckender, weil die Diktatur mit blutigster Repression gegen die Proteste vorgeht.

Mindestens 3000 Menschen sind seit Beginn der Proteste getötet worden, Tausende sind verhaftet oder werden vermisst. Immer grausamere Berichte von Folterungen und Tötungen kommen ans Tageslicht. Ganze Städte werden von der Armee abgeriegelt, beschossen und systematisch nach Systemgegnern durchkämmt.

Und trotz alledem: Die Bevölkerung macht weiter! Der Mut und der Wille zur Veränderung ist so stark, das Vorbild der Bewegungen in Ägypten und Tunesien noch so lebendig, dass selbst diese Massaker die syrische Bevölkerung nicht davon abhalten können, weiter zu kämpfen. Im Gegenteil, jeder Tote und Verstümmelte ruft die Wut anderer hervor, die an seine Stelle treten. Und immer mehr Soldaten desertieren, weil sie nicht auf ihre Brüder und Schwestern schießen wollen.

Die Proteste in Syrien begannen zur gleichen Zeit wie die in Libyen. Doch während die westlichen Staaten in Libyen innerhalb weniger Wochen aus dem ehemaligen Freund Gaddafi einen Feind machten und gegen ihn Krieg führten, verhalten sie sich in Syrien auffallend ruhig.
Erst jetzt, nachdem die Bevölkerung 6 Monate lang nicht aufhört zu kämpfen, fangen die westlichen Staaten an, sich von ihrem Freund, dem dortigen Diktator Assad zu distanzieren. Die EU hat nun einigen Funktionären des Regimes Einreiseverbot erteilt und ein paar Konten gesperrt – allerdings nicht mal das von Assad selber. Und sie haben ein Ölembargo beschlossen… aber erst ab Mitte November! Zeit genug für die Ölkonzerne, die wichtigsten Geschäfte anders zu organisieren.

Offensichtlich wäre es Europa und den USA am liebsten gewesen, Assad hätte die Proteste schnell unterdrücken können und alles wäre beim Alten geblieben. Das letzte nämlich, was sich die westlichen Staaten und die Ölkonzerne wünschen, ist eine Bevölkerung, die Forderungen stellt, auf die Straße geht, kämpft … und sich irgendwann vielleicht auch gegen die Kapitalisten und ihre Ausbeutung wendet.
Der syrische Diktator hingegen war für die westlichen Staaten seit vielen Jahren ein Verbündeter, der in ihrem Sinn für Ruhe und Stabilität in dieser strategisch wichtigen, ölreichen Region gesorgt hat.

Heute, wo er diese Ruhe nicht mehr gewährleisten kann, hätten die westlichen Staaten sicher gerne einen Ersatz für ihn. Doch – anders als in Libyen – haben sie bislang noch keinen gefunden. In Libyen gab es mit der sogenannten „Rebellenarmee“ eine politisch-militärische Kraft, die stark genug war, um auf der Protestwelle der Bevölkerung an die Macht zu kommen und eine neue Diktatur zu errichten. Die hat der Westen unterstützt.

An dem Tag, wo die westlichen Staaten auch in Syrien einen solchen „würdigen“ Ersatz finden, werden sie vielleicht auch hier den jetzigen Diktator Assad endgültig fallen lassen und zum glühenden Verfechter einer angeblichen „demokratischen Veränderung“ werden.
Umso mehr sollte die mutige syrische Bevölkerung den Regierungen der angeblichen „Demokratien“ in Europa und den USA misstrauen. Ihren Weg zu wirklichen sozialen und politischen Veränderungen wird sie nur gegen die Herrschenden in ihrem Land und im Westen erkämpfen können.

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