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Nr. 83, Februar 2016 - Ihre Gesellschaft

Die einen entscheiden, die anderen tragen die Verantwortung

Ja, die Führung der Deutsche Bahn und die Justiz haben ihren Sündenbock gefunden. Der Fahrdienstleiter soll allein die gesamte Verantwortung für das Zugunglück in Bad Aiblingen tragen, bei dem am 9. Februar 11 Menschen gestorben sind. Er soll vor Gericht gestellt werden, weil er zwei entgegengesetzt fahrenden Bahnen aus Versehen gleichzeitig das Signal zum Fahren gegeben hat. Als er seinen Fehler bemerkte und die Züge zu stoppen versuchte, war es schon zu spät.
Jeder weiß, dass Fehler passieren können. Und dass Arbeiter, die seit 20 Jahren gewissenhaft ihre Arbeit machen, dann für einen Fehler vor Gericht gestellt werden, ist an sich schon empörend. Doch das ist nicht alles. Denn der Fehler des Fahrdienstleiters hatte vor allem deshalb so schwerwiegende Folgen, weil die Deutsche Bahn auf dieser Strecke nur ein einziges Gleis für beide Fahrtrichtungen gebaut hat.
Dabei ist Bad Aiblingen nicht das erste schlimme Unglück auf einer eingleisigen Strecke. Erst 2011 waren in Sachsen-Anhalt zwei Züge frontal aufeinander geprallt und 10 Menschen gestorben, weil ein Lokführer das Haltesignal übersehen hatte. Auch hier wurde der Lokführer zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung verurteilt, während die Führung der Deutschen Bahn nicht einmal behelligt wurde. Dabei trug sie die Hauptverantwortung: Um Geld zu sparen, hatte sie auf der Strecke kein Bremssystem eingebaut, das beim Überfahren von Haltesignalen den Zug automatisch stoppt. Und das, obwohl ein solches automatisches Bremssystem seit 30 Jahren existierte.
Nach der Katastrophe hat die DB endlich alle Gleise und Züge mit diesem Bremssystem ausgerüstet. Doch das System verhindert zwar Fehler der Lokführer, nicht aber der Fahrdienstleiter. Und das bleibt gerade auf den eingleisigen Strecken ein Risiko. Vor allem, weil diese eingleisigen Strecken nicht nur irgendwelche Nebenstrecken sind, auf denen drei Mal pro Tag ein Zug fährt. Fast die Hälfte aller Zugstrecken in Deutschland – 15.000 Kilometer – sind nur eingleisig, darunter viele stark befahrene Regionalexpress-Strecken in Großstädten wie München oder Münster. Und auf solchen Strecken darf hunderten Fahrdienstleitern zig Mal am Tag kein Fehler passieren wie in Bad Aiblingen.

Selbstverständlich können Fehler auch auf zweigleisigen Strecken schwerwiegende Folgen haben. Doch auf eingleisigen ist das Risiko sehr viel höher, dass ein Fehler zu einem Zusammenstoß zweier Züge führt – und das endet fast immer tödlich. Dennoch geht die Bahn ständig auch auf befahrenen Strecken dieses Risiko ein. Und zwar nicht, weil dort kein Platz für zwei Schienen wäre, sondern einfach, weil es für die Deutsche Bahn sehr viel billiger ist. Die Fahrdienstleiter oder Lokführer werden bei diesen Entscheidungen nicht gefragt. Die werden einzig von den Chefetagen der Deutschen Bahn gefällt. Doch wenn dann ein Unglück passiert, sind es nicht sie, sondern die Arbeitenden, die man vor Gericht stellt und verurteilt.

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