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Nr. 154, Juni 2022 - Ihre Gesellschaft

Für die Preise gibt es keine „Friedenspflicht“ – warum also für unsere Löhne?

8,2% mehr Lohn: Für diese Forderung gibt es derzeit eine Reihe Warnstreiks in der Stahlindustrie. Für viele würde dies fast 200 Euro netto mehr im Monat bedeuten.
200 Euro mehr im Monat: Das wäre das Mindeste, was die Arbeitenden in allen Branchen sofort bräuchten, um zumindest einen Teil der gestiegenen Preise wieder auszugleichen.

Doch in vielen Branchen laufen die Tarifverträge noch bis nächstes, teilweise bis übernächstes Jahr. Und solange hätten wir angeblich kein Recht, höhere Löhne zu verlangen, weil die „Friedenspflicht“ gelte. Wir sollen also einfach zugucken, wie unsere Löhne von Monat zu Monat immer weniger wert sind?

Warum sollten wir die Unternehmer so lange in Frieden lassen? Sie lassen uns doch auch nicht in Frieden. Kein Lebensmittelkonzern, kein Vermieter, kein Ölkonzern hat bis zum Ende des Tarifvertrags gewartet, um seine Preise massiv zu erhöhen.
Im Moment steigen die Preise Monat für Monat. Im April lag die Inflation noch bei 7,8%. Nur einen Monat später war sie schon bei 8,7%. Und selbst die Kapitalisten und ihre Institutionen geben zu, dass das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht ist. Laut der Allianz Trade kommt bei den Lebensmittelpreisen „das Schlimmste auf die Haushalte erst noch zu“!
In solchen Zeiten, wo die Preise jeden Monat steigen, müssen auch die Löhne, Renten und Sozialhilfen jeden Monat angepasst werden und im selbem Maße mitsteigen. Alles andere bedeutet eine Lohnkürzung – und damit eine weitere Methode, uns noch ärmer und die Kapitalisten noch reicher zu machen.

Gerade in Zeiten wie heute ist es außerdem besonders wichtig, dass wir uns nicht von den Unternehmern und Gewerkschaftsbossen mit ihrem Tarif-Kalender vorschreiben lassen, ob und wann wir uns wehren dürfen – wodurch sich jede Branche obendrein nur zu einem anderen Zeitpunkt wehren „darf“.

Denn angesichts der Unsicherheiten der wirtschaftlichen Lage sind die Kapitalisten noch sturer als sonst. Um ihre Gewinne um jeden Preis zu sichern, sind sie noch entschlossener, uns keinen Ausgleich für den verlorenen Lohn zu geben. Je zahlreicher wir sind, in je mehr Betrieben und Branchen wir ihnen gleichzeitig die Stirn bieten, desto besser stehen unsere Chancen.

Zu Beginn der Ölkrise in den 70er Jahren ging es den Arbeitenden ganz ähnlich. Geringe Tariferhöhungen, während die Preise stiegen und stiegen. Und erst, als die Arbeitenden in einem Dortmunder Stahlbetrieb die „Friedenspflicht“ einfach ignoriert haben, als sie ohne Aufruf der Gewerkschaften und ohne Tarifverhandlungen einfach zu streiken begonnen haben und sich diese „wilden Streiks“ dann auf zig Betriebe verschiedener Branchen ausgeweitet haben – da waren die überrumpelten Kapitalisten auf einmal bereit, die Lohnforderungen der Arbeitenden von 10% und mehr zu erfüllen. Eine Erfahrung mit Zukunft!

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