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Nr. 157, September 2022 - Leitartikel

Wir brauchen „soziale Unruhen“… in den Betrieben!

Ein Gas-Abschlag, der sich „mal eben“ um hunderte Euro im Monat verdreifacht! Dazu steigende Preise für Strom, Miete, Lebensmittel und überhaupt alles: Was wir erleben, ist nicht mehr das langsame Bergab, an das wir uns schon gewöhnt hatten. Es ist eine drastische Verschlechterung für Millionen von uns!

Die ersten Lidl-Filialen sichern einfache Steaks mit einem Alarm, weil sie ein wertvolles, für manche unbezahlbares Gut geworden sind. Selbst viele, die bislang ganz gut klargekommen sind, fangen an zu rechnen, was sie noch kündigen, wie lange sie duschen und wie viel sie die Heizung noch herunterdrehen können. Und währenddessen steigen die Preise weiter und weiter.

Zwar machen die Regierungsparteien quasi jede Woche einen neuen Vorschlag, der angeblich die Preise senken würde. Doch wir sehen ja, was dabei herauskommt. Und das wäre mit CDU oder AfD auch nicht anders, auch wenn diese sich in der Opposition als die „Rächer der kleinen Leute“ aufspielen. Dort wo solche Parteien in Europa an der Macht sind, wie in Großbritannien oder Ungarn, ist die Inflation und die Verarmung kein bisschen geringer.

Denn die Inflation ist nicht das Ergebnis einzelner Fehlentscheidungen. Sie ist eine weitere weltweite Folge davon, dass der Kapitalismus immer mehr aus den Fugen gerät. Pandemie-Chaos, stockende Lieferketten, Energiekrise, Inflation: Diese kaputte Weltordnung stolpert von einer unbeherrschbaren Krise in die nächste.

In diesem Chaos denkt die kapitalistische Klasse einzig daran, wie sie ihr Schäfchen ins Trockene bringen kann. Mehr noch: Für einen Teil von ihnen ist die Krise sogar eine Gelegenheit, sich noch mehr zu bereichern. Heute sind dies vor allem die Energie-, Lebensmittel- und Rohstoffkonzerne. Zusammen mit weiteren Kapitalisten, die bei der Spekulation auf die steigenden Preise mitmachen und abkassieren – und uns
damit weiter in die Armut treiben.
Keine Regierung will und wird sie daran hindern. Für sie stehen die Interessen der Kapitalisten immer an erster Stelle. Die einzigen, die sie daran hindern können, sind wir Arbeitenden selber.

Arbeitende der Häfen und der Lufthansa haben in den letzten Wochen dafür gestreikt, dass ihre Löhne im nächsten Jahr automatisch an die Inflation angepasst werden. Dass – wenn die Inflation zum Beispiel um 10% steigt – auch ihre Löhne automatisch um 10% steigen. Damit wollten sie durchsetzen, dass sie keinen Lohn mehr verlieren, egal wie stark die Preise steigen.

Sie sind die ersten Arbeitenden, die in Deutschland für eine solche Forderung gestreikt haben. Dieser Kampf kann uns allen eine Perspektive bieten. Eine Perspektive, die sich in den einfachen Worten zusammenfassen lässt: Wenn die Preise jeden Monat steigen, müssen auch die Löhne, Renten und Sozialhilfen jeden Monat um die gleiche Summe mitsteigen! Denn dies ist die einzige Möglichkeit, uns davor zu schützen, dass wir ständig ärmer werden.

Alleine hatten die Arbeitenden der Häfen und der Lufthansa nicht die Kraft, eine solche grundlegende Forderung durchzusetzen. Doch egal in welcher Branche wir arbeiten oder ob wir Rentner*innen oder Arbeitssuchende sind: Angesichts der heutigen Preis-Explosion kann uns diese Forderung alle vereinen.
Und je mehr von uns anfangen zu kämpfen (und dabei auch nicht darauf warten, wann in unserer Branche die nächste Tarifrunde ansteht), und je mehr wir uns über Betriebe und Bereiche hinweg zusammentun, desto größer ist unsere Kraft, gegen Kapitalisten und Regierungen unsere Interessen durchzusetzen. Solche „sozialen Unruhen“ sind unsere einzige Chance.

Genau deshalb haben die Herrschenden vor ihnen Angst. Es ist kein Zufall, dass bei all den Bundestags-Diskus-sionen über „Entlastungsmaßnahmen“ keine Partei die Forderung der Streikenden nach einem Inflationsausgleich der Löhne aufgegriffen hat. Sie alle versuchen, unsere Wut in andere Richtungen zu lenken – zu Forderungen, die den Kapitalisten kein Haar krümmen.

Und es ist auch kein Zufall, dass jeden Tag Unternehmer laut in den Medien verkünden, wie sehr auch sie doch unter den steigenden Preisen leiden würden. Und dass höhere Löhne sie daher in den Ruin treiben würden.

Natürlich gibt es eine Reihe vor allem kleiner Unternehmen, die wirklich vor dem Abgrund stehen. Doch nicht unsere Lohnforderungen reißen sie in die Tiefe! Sie werden in den Abgrund gestoßen, weil die Großkonzerne ihre Preise ebenso gnadenlos auf ihrem Rücken durchsetzen wie auf dem der Arbeitenden. Sie gehen unter an der erbarmungslosen Profitlogik des Kapitalismus.

Die Konzerne und ihre Großaktionäre aber haben Wege, die Krise auf uns abzuwälzen. Dort, wo der Betrieb wegen der hohen Energiekosten für sie nicht mehr profitabel genug ist, fangen sie an, ihre Produktionen zurückzufahren oder manche Anlagen sogar stillzulegen. Den Preis dafür zahlen ja nicht sie, sondern wir Arbeitenden… mit Kurzarbeit und Entlassungen.

Die Konzerne produzieren dann zwar weniger. Doch diese Produkte können sie oft umso teurer verkaufen, mit entsprechendem Gewinn. Ihnen ist egal, dass dieses Vorgehen zu noch mehr Inflation, noch mehr Mangel und damit zu einer noch größeren Krise führt. Hauptsache, ihr Profit von heute stimmt!

Und diese verantwortungslosen Egoisten erzählen uns, wir würden die Wirtschaft ruinieren, wenn wir höhere Löhne fordern? Sie und ihr kaputtes Wirtschaftssystem sind es, die uns in die Katastrophe reißen… wenn wir ihnen nicht rechtzeitig die Leitung der Wirtschaft aus der Hand nehmen.

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