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Nr. 140, März 2021 - Internationales

Myanmar: Massenproteste und Streiks trotzen der Militärgewalt

Der Militärputsch in Myanmar hat eine Welle von Demonstrationen und Streiks ausgelöst – einen Aufstand bisher nicht gekannten Ausmaßes in diesem Land mit seinen 54 Millionen Einwohnern. Jeden Tag gehen Hunderttausende auf die Straßen, um die Freilassung der gewählten Regierung zu fordern, die das Militär abgesetzt und eingesperrt hat. Ein Großteil der Eisenbahner, Lehrer, des Pflegepersonals und der Arbeitenden staatlicher Betriebe sind im Streik, um das Militär in die Knie zu zwingen. An manchen Tagen streiken außerdem die Arbeitenden der allermeisten privaten Fabriken, Geschäfte und Banken.

Das Militär hatte gedacht, die Proteste mit brutaler Gewalt schnell ersticken zu können. Über 50 Demonstranten wurden bereits erschossen, hunderte verletzt. Über 1.500 wurden verhaftet, unter ihnen viele ganz junge Schüler und Studierende sowie Vertreter der Streikenden. Militäreinheiten versuchen Streikende mit vorgehaltener Waffe wieder an die Arbeit zu zwingen. Doch statt sie einzuschüchtern, hat die brutale Gewalt zu noch mehr Empörung, Solidarität und Entschlossenheit der Kämpfenden geführt. All das bringt die Armee ernsthaft in Bedrängnis, die seit Jahrzehnten zu herrschen gewohnt ist.

Seit 1962 war die ehemalige britische Kolonie eine Militärdiktatur. Erst 2011 akzeptierte das Militär unter internationalem Druck und einer anhaltenden Oppositionsbewegung die Einrichtung einer zivilen Regierung. Das Militär ließ jedoch in der Verfassung festschreiben, dass 25% der Parlamentssitze sowie die Posten des Verteidigungs-, Innen- und Grenzschutzministers weiterhin von der Armee bestimmt werden.
Die Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi, die unter der Militärdiktatur jahrelang im Gefängnis gesessen hatte, übernahm 2015 unter diesen Bedingungen die Leitung dieser Regierung. Sie und ihre Partei NLD waren also bereit, sich die Macht mit dem Militär zu teilen und dessen entscheidende Machtbasis nicht anzutasten. Fünf Jahre lang tat Aung San Suu Kyi alles, um das Militär nicht zu verärgern und von ihm akzeptiert zu werden. Dafür leugnete sie sogar die brutale Verfolgung und den Massenmord an der muslimischen Minderheit der Rohingya durch das Militär.

Doch als die NLD bei den Parlamentswahlen 2020 dann über 80% der Stimmen erhielt, bekam das Militär offensichtlich Angst, dass die NLD nun versuchen könnte, die Verfassung zu ändern und dem Militär auch einen Teil seiner wirtschaftlichen Macht streitig zu machen. Das Militär hat nämlich einen bedeutenden Teil der Wirtschaft unter seiner Kontrolle, insbesondere die wichtigsten Rohstoffquellen Erdgas und Edelsteine sowie die öffentlichen Banken. Und diese Quellen großen Reichtums hätten die rivalisierenden Unternehmer in der NLD gerne für sich. Um all dies zu verhindern, putschte das Militär.

Die Regierungen der USA, Japan oder der EU haben seitdem zwar Protestnoten gegen den Putsch verfasst. Doch hinter der Fassade geht das lukrative Geschäft ihrer Öl- und Autokonzerne mit Myanmars Militär ganz selbstverständlich weiter.

Die Entschlossenheit der Protestierenden zeigt, dass ein Großteil der Bevölkerung Myanmars sich weigert, noch länger vom Militär regiert zu werden. Doch in diesem Kampf können sie sich nicht auf Aung San Suu Kyi und die Politiker der NLD verlassen. Sie haben bereits bewiesen, dass sie nicht bereit sind, die Machtbasis des Militärs wirklich anzugreifen. Wenn die Protestierenden nicht zum Spielball einer bürgerlichen Partei werden wollen, die vor allem selber herrschen will, wenn sie nicht wollen, dass all ihr Mut, ihre Kampfbereitschaft und ihre Opfer am Ende umsonst waren, muss die Arbeiterklasse sich eigenständig organisieren und die Proteste bis zu einer Revolution führen, die die Militärmacht an der Wurzel beseitigt und die wirtschaftliche Macht in die Hände der Bevölkerung legt.

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