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Nr. 124, November 2019 - Leitartikel

Ihre Zukunftsvorstellung: (Grund)rente für alle… ab 69 Jahren?

Anderthalb Millionen Rentnerinnen und Rentner, die nur eine Armutsrente haben, obwohl sie 35 Jahre und länger geschuftet haben, werden künftig die „Grundrente“ der Regierung bekommen. Die meisten von ihnen haben damit rund 100 Euro mehr im Monat. Als Alleinstehende haben sie dann 900 oder 1.000 Euro im Monat zum Leben. Und das nennt die Regierung eine „Ehren-rente für lebenslange harte Arbeit“!

Nein, die Grundrente befreit nicht aus der Altersarmut. Mit ihr wird man weiter jeden Tag rechnen müssen, wird bei jeder Stromnachzahlung oder kaputten Waschmaschine zu den Tafeln gehen oder Schulden machen müssen. Und die Regierung gibt offen zu, dass in absehbarer Zeit die Hälfte aller Arbeitenden solche Armutsrenten haben wird!

Wie sollte es auch anders sein? Seit Jahren vernichten alle Konzerne feste Tarifarbeitsplätze oder lagern sie an Subfirmen mit Niedriglöhnen aus. Immer mehr Arbeitende bekommen nur noch Teilzeit- oder befristete Jobs, wo sie zwischendurch immer wieder arbeitslos werden. Diese Angriffe auf Arbeitsplätze und Löhne sind der Hauptgrund für die niedrigen Renten. Und die derzeitigen Entlassungen in vielen Betrieben, und erst recht die Werksschließungen wie bei Knorr, Michelin oder Continental bedeuten, dass weitere Zehntausende (die bislang auf eine halbwegs sichere Rente hoffen konnten) in Altersarmut gestürzt werden.

Die Regierung hat mit zig Reformen ebenfalls die Renten gesenkt – und senkt sie weiter. Hinter dem Feigenblatt der Grundrente wird das Rentenalter schrittweise auf 67 Jahre erhöht. Und sie reden sogar schon davon, es auf 69 Jahre anzuheben! Warum nicht gleich arbeiten bis zum Tod?
Die Erhöhung des Rentenalters aber läuft darauf hinaus, dass immer mehr Arbeitende schon lange vor dem Rentenalter entweder arbeitslos oder so krank werden, dass sie nicht mehr arbeiten können – was in beiden Fällen drastisch gekürzte Renten und ein Lebensende in Armut bedeutet.

Ja, Kapitalisten und Regierung zerstören systematisch unsere Löhne und Renten. Und dann tun sie noch so, als würden sie uns mit der Grundrente ein gnädiges Geschenk machen. Was für eine Umkehrung der Tatsachen!
Die Rente ist kein Almosen, und wir Arbeiter keine Bettler. Wir haben ein Recht, von unseren Löhnen und Renten sorgenfrei leben zu können. Ob wir Frisörin, Lagerarbeiter, Paketbote, Altenpfleger, Busfahrerin oder Putzfrau sind, ob wir in Voll- oder Teilzeit arbeiten oder in Rente sind – keiner dürfte weniger als 1.800 Euro Netto bekommen!

Denn wir erzeugen mit unserer Arbeit allen Reichtum dieser Gesellschaft. Nicht nur das kleine bisschen, das wir als Lohn oder Rente bekommen. Wir erarbeiten auch alles, was die Unternehmer an Steuern oder Rentenbeiträgen zahlen. Und natürlich den gigantischen Reichtum, den sich die Kapitalisten in die Tasche stecken.

Die Regierung hingegen ist so sehr damit beschäftigt, den Kapitalisten noch mehr Geld zuzuschanzen, dass sie selbst ihre kleine Grundrente – mit der sie den Wählern ihr soziales Gewissen beweisen wollte – letztlich den meisten armen Rentnern verweigert.

Sie verweigert sie Millionen Rentnern, die keine 35 Beitragsjahre voll haben, zum Beispiel weil sie krank geworden sind – oder weil sie zwischendurch mehrere Kinder großgezogen haben.
Ebenso verweigert sie sie drei Millionen Rentnerinnen, die zwar 35 Jahre und länger eingezahlt haben, deren Ehepartner aber angeblich „zu viel“ verdient. Eine Verkäuferin zum Beispiel, die 40 Jahre an der Kasse gestanden und nun 600 Euro Rente hat – und deren Mann als Stahlarbeiter 1.500 Euro Rente bekommt, erhält die Grundrente nicht... weil es ihr laut der CDU „zu gut“ geht!
Am gleichen Tag aber, als die Regierung nach zwei Jahren (!) Diskussion 1 Milliarde Euro für die Grundrente bereitgestellt hat, hat sie 10 Milliarden Euro bereitgestellt, um Firmen bei der Digitalisierung zu unterstützen. Da hat sie natürlich nicht gefragt, ob es den Firmen nicht vielleicht „zu gut“ für diese staatliche Hilfe geht. Ebenso wenig, als sie beschlossen hat, Firmen mit über einer Milliarde Euro beim Kauf von E-Dienstwagen zu sponsern. Und den Energie-, Auto- und Immobilienkonzernen, die mit dem „Klimapaket“ bis zu 50 Milliarden Euro geschenkt bekommen, geht es nicht zu gut für staatliche Hilfen?

Ohne mit der Wimper zu zucken, überhäuft die Regierung die reichen Kapitalisten mit unendlichen Summen – und plündert dafür die öffentlichen Kassen.

Also nein, es mangelt nicht an Reichtum in diesem Land. Die unfassbaren Reichtümer der Konzerne und die großzügigen Geschenke der Regierung an sie führen es uns jeden Tag vor Augen. Und wenn wir Arbeitenden, die einzige produktive Klasse der Gesellschaft, trotzdem immer ärmer werden – dann weil es das Kräfteverhältnis den Kapitalisten ermöglicht, einen immer größeren Teil dieses Reichtums an sich zu reißen.

Die kapitalistische Klasse benutzt dafür alle ihre Machtmittel: Sie benutzt die Tatsache, dass sie Unternehmen und Banken wie auch die Presse besitzt – außerdem einen ganzen Staatsapparat, der ihr zu Diensten ist.

Doch wir Arbeitenden verfügen über ein noch größeres Machtmittel: Denn wir machen die gesamte Arbeit in dieser Wirtschaft. Ohne uns läuft gar nichts. Diese entscheidende Rolle verleiht uns die Möglichkeit und die Kraft, den Kampf gegen diese parasitäre kapitalistische Klasse und ihre Angriffe aufzunehmen und gemeinsam das Kräfteverhältnis umzukehren – und damit auch der ganzen Gesellschaft eine andere Zukunft zu eröffnen.

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