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Nr. 145, August 2021 - Internationales

Afghanistan: Verantwortlich für das Chaos ist der Imperialismus

Die Lage vor dem Flughafen in Kabul wird immer dramatischer. Verzweifelt versuchen tausende Afghanen, den Taliban zu entkommen, doch sie werden vor dem Flughafen von den Taliban und der US-Armee aufgehalten. Und dazu jetzt noch die Anschläge mittendrin.

Die US-Regierung hatte schon vor Monaten entschieden, die afghanische Bevölkerung den Taliban zu überlassen. Sie hatte zwar nicht damit gerechnet, dass diese so schnell vorrücken, beziehungsweise dass die von ihr eingesetzte Armee so widerstandslos zusammenbricht. Doch seit sie mit den Taliban den Abzug der US-Truppen ausgehandelt hatten, war allen klar, dass die Taliban das Land bald unter ihre Gewalt bringen würden. Trotzdem hat auch die deutsche Regierung noch bis vor zwei Wochen afghanische Flüchtlinge abgeschoben und sie damit wissentlich den Taliban ausgeliefert!
 
20 Jahre haben die USA und ihre Verbündeten – darunter Deutschland – in Afghanistan Krieg geführt. Das Ergebnis: Die Taliban sind stärker als je zuvor.
 
Die imperialistischen Mächte haben die Taliban überhaupt erst stark gemacht. Ende der 1970er Jahren haben sie verschiedene islamistische Milizen mit Geld und Waffen ausgestattet und im Kriegshandwerk ausgebildet, um das afghanische Regime zu schwächen. Und zwar, weil dieses von der damaligen Sowjetunion unterstützt wurde.
Der Plan ging auf. Die sowjetische Armee musste Afghanistan verlassen. Stattdessen kämpften nun die islamistischen Milizen in einem blutigen Bürgerkrieg um die Macht. Die Taliban gewannen. Denn sie waren von allen am besten bewaffnet... dank der USA!
 
Kaum waren die Taliban an der Macht, wurden die Frauen von ihren Arbeitsplätzen verjagt und in Burkas und den Haushalt eingesperrt. Das ganze Land wurde ihren extrem rückschrittlichen Gesetzen unterworfen, samt Strafen wie Auspeitschen und Steinigen. Doch jahrelang störte dies die westlichen Großmächte wenig.
Dann aber kam 2001 der Terroranschlag von Al-Kaida auf das World-Trade-Center. Die US-Regierung, zum ersten Mal auf eigenem Boden getroffen, wollte zurückschlagen. Sie wollte der ganzen Welt klarmachen, dass nur der Weltpolizist USA das Recht hat, jederzeit Bomben auf andere Länder zu werfen, nicht umgekehrt. Zu diesem Zweck marschierten die USA mit Deutschland und weiteren Verbündeten in Afghanistan ein, einem der ärmsten Länder der Welt – unter dem Vorwand, die Taliban würden die Al-Kaida-Terroristen verstecken.
In Europa und den USA schürten die Regierungen mit massiver Propaganda Sympathien für diesen Kriegseinsatz: Er würde die Frauen aus ihrer schrecklichen Unterdrückung befreien und dem Land Zivilisation, Schulen, Krankenhäuser und Sicherheit bringen.

In Wahrheit brachte die militärische Besatzung der Bevölkerung nur zwanzig weitere Jahre Krieg. Zwanzig Jahre, in denen sie terrorisiert wurde von Bombenangriffen, Verhaftungen und Folter – abwechselnd durch westliche Besatzungstruppen, afghanische Regierungstruppen oder die Taliban.
 
Hunderte Milliarden gaben die USA und ihre Verbündeten für die militärische Besatzung aus, hingegen nur kleinste Summen für Krankenhäuser oder Schulen. Das Land blieb genauso unterentwickelt. Nur die Korruption entwickelte sich prächtig – und bereicherte nicht nur Geschäftemacher vor Ort, sondern vor allem die amerikanischen Kapitalisten.
Kein Wunder, dass die von den USA aufgebaute Staatsmacht daher zunehmend von der Bevölkerung abgelehnt wurde. Dies erklärt, warum die Taliban nun so schnell die Macht erobern konnten.
Sollten die Taliban ihre Herrschaft im ganzen Land festigen, dann werden sie zweifellos eine brutale islamistische Diktatur einführen, auch wenn sie derzeit anderes behaupten. Und sollte ihnen dies nicht gelingen, dann wird das Land in einem Bürgerkrieg zwischen verschiedenen bewaffneten Banden versinken. In beiden Fällen werden die Frauen und die gesamte arbeitende Bevölkerung weiter auf schreckliche Weise leiden.

Das ist das Ergebnis von 20 Jahren Besatzung und von zwei Jahrhunderten Einmischung der imperialistischen Mächte in der Region!

Und wenn es ihnen politisch und wirtschaftlich in den Kram passt, arrangieren sich die westlichen Staaten bald auch mit den Taliban – so wie mit anderen Diktaturen.
 
Während wir gerade erleben, wie schrecklich es ist, den Taliban ausgeliefert zu sein, bereiten sich die europäischen Regierungen längst darauf vor, die Menschen an einer Flucht in den Westen zu hindern. Seit einigen Wochen finanziert die EU den Bau einer Mauer an der Grenze zwischen der Türkei und dem Iran (der Hauptfluchtroute für Afghanen) und zwischen Litauen und Weißrussland.
 
Dreist erklären die europäischen Politiker, die Afghanen könnten ja in die Nachbarländer fliehen, nach Pakistan oder in den Iran. Dabei haben diese viel ärmeren Staaten bereits in den letzten Jahren mehrere Millionen afghanische Flüchtlinge aufgenommen. Ganz zu schweigen davon, dass engagierte Frauen und Regimegegner dort auch nicht sicher sind. Und überhaupt: Die imperialistischen Staaten führen Krieg – aber um deren Opfer haben sich die armen Länder zu kümmern!?
 
Einige, gegen die diese Mauern errichtet werden, sind Geschwister, Eltern, Verwandte unserer afghanischen Arbeitskolleg*innen. Stehen wir als Arbeitende der imperialistischen Länder an ihrer Seite, an der Seite der Ausgebeuteten, der Frauen, der Verfolgten – und nicht an der Seite der imperialistischen Machthaber, die die Welt ausbeuten! 

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