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Nr. 129, April 2020 - Leitartikel

Die Arbeitenden sind „an der Front“ – die Kapitalisten kassieren im Hintergrund

„In dieser Krise müssen alle zusammenstehen“, sagt die Regierung. In der einfachen Bevölkerung passiert das auch. Hier gibt es täglich unzählige Beweise von Solidarität und Hilfsbereitschaft. Doch dies gilt nicht für die kapitalistische Klasse. Die versucht im Gegenteil, in der Krise mit umso größerem Egoismus ihre Interessen durchzusetzen.

Da müssen unzählige Arbeitende von Kurzarbeitergeld, also von 60% ihres Grundlohns, irgendwie ihre Miete und ihre Rechnungen bezahlen. Aber Konzerne wie Deichmann oder H&M versuchen mit Erpressung durchzusetzen, dass der Staat ihre Miete bezahlt.

Da lässt sich VW Kurzarbeitergeld für 80.000 Arbeiter aus unseren Sozialkassen bezahlen – und will gleichzeitig seinen Aktionären 35% mehr (!) Dividenden zahlen.

Da geben Verkäuferinnen, LKW-Fahrer, Pflegekräfte alles, um die Bevölkerung zu versorgen. Und zum Dank würgt die Regierung ihnen eine heftige Verschlechterung der Arbeitsbedingungen rein. Still und heimlich hat sie Sonntagsarbeit, 12-Stunden-Schichten und 60-Stunden-Wochen erlaubt. Wovon die Kapitalisten seit Jahren geträumt haben, ist wahr geworden… und es wird auch gleich weidlich ausgenutzt.

Da bemühen sich alle, zu Hause zu bleiben, nehmen menschliche und finanzielle Entbehrungen auf sich, um zu verhindern, dass es in den Krankenhäusern zu einer Katastrophe kommt. Aber gleichzeitig werden Millionen Arbeitende gezwungen, täglich weiter in nicht-lebensnotwendigen Betrieben zu arbeiten, in denen das Kontaktverbot und die Hygieneregeln nicht eingehalten werden können: Auf Baustellen mit Dixi-Klos ohne fließend Wasser. In Werkshallen mit Umluftanlagen, wo sie zu Dutzenden oder Hunderten zusammenarbeiten müssen, um elektrische Garagenöffner oder Autoteile herzustellen – als ob das nicht warten könnte!
Im Parlament wird nach jeder Rede eines Politikers Mikrofon und Rednerpult gesäubert, weil sich die Viren auf den Oberflächen halten und übertragen werden können. Aber die Arbeitenden müssen in den Werken auf Toiletten gehen, die erst gereinigt werden, nachdem zwanzig oder dreißig Arbeiter sie benutzt haben. Wissentlich riskieren die Unternehmer die Gesundheit ihrer Arbeiter. Und sie versetzen damit den Krankenhausbeschäftigten einen regelrechten Dolchstoß. Um ein paar Tage mehr zu produzieren, sabotieren sie die Bemühungen der ganzen Bevölkerung.

Mehr noch: Während vor allem in der Altenpflege ein dramatischer Mangel an Schutzmasken herrscht und Pflegekräfte ihre Gesundheit und die ihrer Patienten riskieren, weil sie sie ohne Maske versorgen müssen, horten viele dieser Industriebetriebe ganze Vorräte an medizinischen Schutzmasken! Nur um ihre Produktion laufen zu lassen, enthalten sie die Masken den Pflegekräften vor, die diese zwingend brauchen.

Die Herrschenden reden davon, dass wir uns im Krieg gegen das Virus befinden. Und wie in jedem Krieg werden die Arbeitenden „an die Front“ geschickt und riskieren ihre Haut, während sich die Reichen weit hinter der Front in Sicherheit befinden. Wie in jedem Krieg bezahlt die einfache Bevölkerung den Preis, während die Kapitalisten ihre Schäfchen ins Trockene bringen.

Und wie immer hilft die Regierung ihnen dabei. Sie behauptet zwar, sie habe ein gigantisches Rettungspaket von 1.150 Milliarden Euro aufgelegt, um alle Teile der Bevölkerung zu retten. Doch 900 Milliarden davon sind einzig ein Rettungsschirm für die Banken.

200 Milliarden sind Direkthilfen für kriselnde Konzerne, die diese nicht zurückzahlen müssen: Die großen Aktionäre (nicht selten Milliardäre oder Banken) dürfen die Gewinne der letzten Jahre und auch zukünftige Gewinne behalten. Aber für die Verluste will der Staat aufkommen! Und die Staatshilfe verpflichtet die Konzerne nicht einmal dazu, auf Entlassungen zu verzichten.

Weitere 50 Milliarden Euro, also schon sehr viel weniger, sind für Kleinunternehmer und Selbstständige gedacht. Diese erhalten bis zu 15.000 Euro Direkthilfen, die sie nicht zurückzahlen müssen. Gegenüber diesen 1.100 Milliarden für Banken und Konzerne und 50 Milliarden für Kleinunternehmer gibt es ganze… 3,3 Milliarden Euro für die Krankenhäuser. Eine Schande!

Und für die Arbeitenden, die in Kurzarbeit sind oder jetzt gar keinen Job mehr haben, gibt es… NICHTS. Nichts, außer der zynischen Aussicht, einfacher HartzIV beantragen zu können.

Die Regierung tut so, als müssten wir ihr für das Kurzarbeitergeld dankbar sein. Doch das wird von der Arbeitslosenversicherung bezahlt, von unseren Beiträgen. Wir zahlen es uns also selbst. Den Staat kostet es keinen Cent. Und dennoch ist die Regierung nicht einmal bereit, das Kurzarbeitergeld auf 90% aufzustocken, wie es die Gewerkschaften gefordert haben. Ganz zu schweigen davon, dass sie die großen Unternehmen zwingen würde, es aufzustocken!

Nein, in der Krise gibt es keinen Waffenstillstand. Gerade jetzt greifen Regierung und Kapitalisten an, um ihre Vermögen auf Kosten der Arbeiter und der Allgemeinheit zu retten. Demgegenüber brauchen wir Arbeiter unser eigenes Rettungsprogramm.
Heute nennen uns die Herrschenden die „Heldinnen und Helden des Alltags“. Ja, selbst sie müssen ausnahmsweise zugeben, dass wir Arbeitenden – die Millionen kleinen Rädchen, die die Gesellschaft am Laufen halten – die wichtigen Menschen in dieser Gesellschaft sind. Und umso mehr haben wir jedes Recht zu verlangen, dass unsere Gesundheit und unsere Existenzbedingungen in der Krise geschützt werden.

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