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Nr. 156, August 2022 - Ihre Gesellschaft

Seehäfen: Ein Kampf für mehr Lohn – und das Recht zu streiken

12.000 Arbeiter*innen der vier deutschen Seehäfen kämpfen seit Wochen für Lohnerhöhungen, die wirklich die Inflation ausgleichen. Die Hafenbetreiber wollen sie mit im Schnitt 5% mehr Lohn pro Jahr abspeisen, festgelegt für zwei Jahre. Dabei weiß derzeit keiner, um wie viel die Preise in sechs Monaten steigen, geschweige denn in zwei Jahren!

Ein Teil der Streikenden hat daher eine Idee ihrer Kollegen aus Antwerpen übernommen. Sie fordern, dass im Tarifvertrag vereinbart wird, dass die Löhne in regelmäßigen Abständen automatisch an die Inflation angepasst werden.

Seit über vierzig Jahren hat es keinen Streik mehr an den Häfen gegeben. Da schon ein paar Tage Streik zu Produktionsstillständen in den Auto- oder Chemiewerken führen können, gab es immer einen großen Druck, nicht zu streiken. Außerdem hörte man oft, dass man als ungelernter Arbeiter dankbar sein könne, einen so guten Job ergattert zu haben.
Doch das Argument zieht nicht mehr, spätestens seit die Hafenbetreiber angekündigt haben, mehrere tausend Arbeitsplätze vernichten zu wollen – während die Arbeiter*innen heute schon oft 60 Überstunden im Monat anhäufen. Und dass die Hafenbetreiber ihnen nun auch noch eine reale Lohnsenkung aufzwingen wollen, hat das Fass zum Überlaufen gebracht.
Eine Gruppe Aktiver, vor allem ver.di.-Vertrauensleute, organisierte zunächst Versammlungen in den Pausen, um zu diskutieren, was man tun solle. Die Meinung war einhellig: streiken! Es folgten ein halbtägiger Warnstreik, dann ein 24-Stunden-Streik, dann ein 48-Stunden-Streik, an denen sich jedes Mal fast alle
Arbeiter*innen beteiligten.

Die Hafenbetreiber, denen langsam mulmig wurde, haben daraufhin vor Gericht gegen den Streik geklagt. An den meisten Standorten wurde die Klage abgewiesen. Doch am größten Standort Hamburg hat die Gewerkschaft einen Vergleich akzeptiert, in dem Streiks bis zum 26. August verboten sind. Außerdem müssen sich Hafenbetreiber und Gewerkschaft in der Zeit drei Mal zum Verhandeln treffen. Doch was soll bei Verhandlungen rauskommen, in denen die Arbeiter*innen durch das Streikverbot kein Druckmittel haben?

Viele Kolleg*innen versuchen daher, weiter Druck auszuüben, indem sie alle Überstunden absagen. Ein Teil organisiert außerdem regelmäßig Pausenversammlungen: um sich trotz Streikverbot auszutauschen, um schnell reagieren und vielleicht bald die nächsten Streiks organisieren zu können.

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