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Nr. 167, Juli 2023 - Internationales

Frankreich: Statt Resignation oder sinnlose Gewalt – ändern wir die Gesellschaft!

Die Ermordung eines 17jährigen durch die Polizei hat spontan und mehrere Tage lang zu einer Explosion blinder Wut von Jugendlichen geführt. Polizei und Justiz sind gegen die Jugendlichen sehr hart vorgegangen. Mehrere hundert, nicht selten Schüler*innen oder Azubis ohne Vorstrafen, wurden noch am selben Tag in Schnellverfahren abgeurteilt. Dafür, dass sie zum Beispiel etwas aus einem geplünderten Laden geklaut haben, sind sie teilweise zu mehreren Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt worden. Die Regierung Macron hat die Jugendlichen und sogar deren Eltern beschimpft und verleumdet, während sie sich bedingungslos hinter die Polizei gestellt und sie gerühmt hat. Zur Einschätzung der Ereignisse veröffentlichen wir den Leitartikel der Betriebszeitungen unserer französischen Genoss*innen von Lutte Ouvrière vom 3. Juli 2023.

Über den Tod des 17-jährigen Nahel in Nanterre kann man nur empört sein. Hätte es keine andere Möglichkeit gegeben, das Auto zu stoppen, als dem Fahrer aus unmittelbarer Nähe in die Brust zu schießen? Was hat der Ruf "Knall ihn ab!" eines der Polizisten zu bedeuten? Wäre die Szene nicht gefilmt worden, wäre diese Hinrichtung durch die Polizei als Notwehr getarnt worden – so, wie es sicher in den meisten Fällen geschieht.

Diesmal gibt es ein Video als Beweis: Polizisten, die keine Zurückhaltung kennen, die schießen, um zu töten, die de facto die Todesstrafe wieder einführen, manchmal nur für geringfügige Vergehen. Und man braucht sich nur die Reaktionen einiger Polizeigewerkschaften anzuhören, um zu begreifen, dass in ihren Augen das Leben eines Jugendlichen aus einem Arbeiterviertel nicht viel wert ist!

Die Jugendlichen in den Arbeitervierteln haben dies verinnerlicht. Denn sie erleben jeden Tag Kontrollen aufgrund ihrer Hautfarbe, rassistische Äußerungen oder Diskriminierung bei der Arbeit oder der Wohnungssuche.
Sie sehen sich dazu verurteilt, sich ohne Geld durchzuschlagen, mit Leiharbeit und schlecht bezahlten Jobs – während die Jugendlichen aus dem Bürgertum gute Beziehungen und eine sichere Karriere haben. Sie erleben, wie ihre Eltern von einer schlecht bezahlten Arbeit ausgelaugt und kaputt gemacht oder in die Arbeitslosigkeit gestoßen werden.

Also ja, es gibt Jugendliche, Kinder, die mit Wut im Herzen leben. Diese Wut bringt einen kleinen Teil von ihnen dazu, nichts zu respektieren, in Drogengeschäfte einzusteigen oder den Bewohnern ihrem eigenen Viertel das Leben schwer zu machen. Und diese Wut ist mit Nahels Tod in blinde Gewalt umgeschlagen.
Die Zerstörungswut, die in einigen Stadtvierteln ausgebrochen ist, löst ihrerseits Bestürzung, Verwirrung und zum Teil Wut aus. Und das aus gutem Grund! Denn es sind nicht die Reichen, deren Autos, schicke Restaurant oder Tennis- und Golfplatz in Rauch aufgehen. Es sind Frauen und Männer der einfachen Bevölkerung, die nun hilflos ohne Sozialzentrum, Einkaufsladen oder Transportmittel zur Arbeit dastehen.

Die Aktionen derjenigen, die mehrere Nächte damit verbracht haben, alles in ihrer Reichweite zu zerstören, einschließlich des Ferienzentrums, in dem ihre kleine Schwester angemeldet war oder des Arztbusses, in dem ihre Mutter sich behandeln lassen wollte, zeugen von einem dramatischen Mangel an Bewusstsein. Unter ihnen befinden sich übrigens auch Kleinkriminelle und Drogenhändler, die sich nicht darum scheren, dass sie das Leben der Einwohner in Gefahr bringen.

Diese blinde Wut darf nicht die Oberhand gewinnen! Aber wer ist da, um die Revolte dieser Jugend zu tragen und ihr eine Perspektive zu eröffnen? Wer, um sich gegen die Politik der Regierung zu stellen? Wer kämpft gegen das Großkapital, das schon an Reichtum erstickt und doch immer raffgieriger wird?

Die zerstörerische Revolte dieser Jugend ist die Folge der fehlenden Organisation der Arbeiterklasse, ihres Mangels an Kampfgeist und Politisierung. Der Arbeiterklasse werden die Jugendlichen als Lieferboten, Lagerarbeiter, Gabelstaplerfahrer, Kellner oder Köche angehören – so wie ihre Brüder, Schwestern oder Eltern bereits heute. Es liegt also an uns, an allen Arbeiterinnen und Arbeitern, ihnen den Weg zu weisen.

Indem wir uns organisieren und dafür kämpfen, dass wir von den Großkapitalisten, aber auch von der Polizei und der Justiz respektiert werden, können wir zu einem Vorbild für die Jugend werden. Diese Perspektive ist untrennbar damit verbunden, die gesamte Gesellschaftsordnung in Frage zu stellen. Denn es ist sinnlos, auf eine bessere Polizei oder Justiz zu hoffen.

Hinter der Polizei und der Justiz stehen die Gesetze der Bourgeoisie. Diese Gesetze weisen den Arbeitenden und ihren Kindern die Rolle zu, sich ausbeuten zu lassen und den Reichsten zu dienen. Sie legitimieren die Ungleichheit. Sie erlauben es einer Regierung wie der von Macron, uns zwei Jahre unserer Rente zu stehlen. Sie geben einer Klasse von Parasiten alle Macht, die bereit wären, Vater und Mutter zu töten, wenn das ihre Profite vergrößert!

In Punkto Plünderung und Zerstörung werden die jungen Randalierer niemals an die Konzerne heranreichen, die bereit sind, die ganze Welt zu schröpfen, den Planeten zu zerstören, die Menschheit auszubeuten und Kriege zu schüren.
Gewalt ist das Herzstück dieser von Ungerechtigkeiten zersetzten Gesellschaft. Wir werden daher nur dann Frieden und Gerechtigkeit erlangen, wenn wir dem Großkapital die Kontrolle über die Gesellschaft entziehen. Wir werden erst eine wirklich gerechte Gesellschaft aufbauen, wenn die Frauen und Männer, die alles produzieren, selber an der Macht sind und die Gesellschaft so organisieren, dass sie den Bedürfnissen der gesamten Bevölkerung entspricht.

Das Rote Tuch
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