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Nr. 65, Juni 2014 - Internationales

Irak: Das heutige Chaos ist das Ergebnis des imperialistischen Krieges

Elf Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins und nach Jahren US-amerikanischer Besatzung ist der Irak dabei, tiefer denn je im Chaos zu versinken – in einem Chaos, das sich zu einem religiösen Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten zu entwickeln droht.
Der fundamentalistischen Gruppe ISIS (Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien) ist es in den letzten Monaten gelungen, größere Teile der vorwiegend sunnitischen Provinzen im Norden unter ihre Kontrolle zu bekommen. Am 10. Juni hat sie die zweitgrößte Stadt des Iraks Mossul erobert und hat nun eine Offensive Richtung Bagdad begonnen.

Die irakische Armee, von der US-Regierung ausgebildet und für teures Geld ausgestattet, hat sich als vollkommen unfähig erwiesen, sich den Milizen entgegen zu stellen. Meist sind ihre Soldaten lieber desertiert oder geflohen und haben Ausrüstung und Militärstützpunkte den islamistischen Milizen überlassen.
Geholfen hat den Milizen sicher auch der Unmut der sunnitischen Bevölkerung über die Regierung von Premierminister Nuri Al-Maliki, die aus zwei religiösen Parteien besteht – und zwar beides schiitische Parteien, während die Schiiten nur 54% der irakischen Bevölkerung ausmachen.

Diese Einteilung der Bevölkerung in Religionsgruppen (Schiiten, Sunniten,…) haben die Herrschenden im Irak schon seit langem dazu genutzt, um ihren jeweiligen Einfluss in der irakischen Bevölkerung zu festigen. So hat sich das Regime von Saddam Hussein zum Beispiel besonders auf die sunnitische Minderheit gestützt, aus der er stammte – auch wenn offiziell Religion und Staat getrennt waren.
Vor allem jedoch haben ab 2003 die amerikanischen Besatzer gezielt den religiösen Hass geschürt. Das war ihre Methode, um ein Fundament für die neue Regierung zu schaffen, die sie nach dem Sturz von Saddam Hussein einsetzten. Die USA verboten seine Partei, die Baath-Partei, und lösten die irakische Armee auf. Anstelle dessen errichteten sie ein neues Regime, das von Anfang an eine religiöse, konfessionelle Grundlage hatte. Das von den USA eingeführte Regime berief und beruft sich bis heute auf das islamische Gesetz, die Scharia, und stützte sich ausschließlich auf die schiitischen Parteien und Milizen.

Diese Politik der USA hat die religiösen Spannungen dramatisch verschärft. Und ihr erstes Ergebnis war, dass schon 2006 ein blutiger Bürgerkrieg zwischen schiitischen und sunnitischen Milizen begann, der bis 2009 dauerte. In diesen ersten Jahren der amerikanischen Besatzung gründete sich übrigens auch ISIS.

Nachdem sich die Lage vorübergehend etwas beruhigt hatte, haben sich seit einiger Zeit die religiösen Auseinandersetzungen erneut verschärft. Die Regierung ist geschwächt, weil sie seit dem Abzug der US-Soldaten Ende 2011 alleine ihre Macht durchsetzen muss – und zwar gegen eine wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Hinzu kommt der Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien. ISIS hat von Beginn an Kämpfer nach Syrien geschickt. Wie alle fundamentalistischen Kämpfer haben sie dort viel Unterstützung und Geld bekommen, und zwar von all den Staaten, die im syrischen Konflikt eingreifen wollen und dafür Truppen gesucht haben: die Türkei, Saudi-Arabien, Katar… Diese Staaten haben ISIS und den anderen Milizen all die Waffen geliefert, die sie brauchten, und zwar mit der wohlwollenden Zustimmung der USA und der westlichen Staaten insgesamt, die alle froh über diese Möglichkeit waren, das Regime von Assad zu schwächen.
Die USA haben mit dieser Politik in Syrien selber zu dem beigetragen, was heute im Irak passiert. Denn diese nun gut ausgerüsteten und kampferfahrenen fundamentalistischen Milizen sind aus Syrien in den Irak zurückgekehrt und kämpfen hier. Unter ihren Angriffen droht das Regime, das die USA an die Macht gebracht haben, zusammenzubrechen.

Ganz offensichtlich wissen die USA nicht mehr wirklich, wie sie in dem Chaos überhaupt noch eingreifen sollen; in diesem Chaos, zu dessen Entstehung sie selber beitragen haben; in diesem Zerfall einer ganzen Region, den sie verursacht haben, aber den sie selber nicht mehr unter Kontrolle haben. So wenig, dass sie sogar über ein Bündnis mit dem Iran nachdenken, nach all den Jahren, in denen sie mit dem iranischen Regime auf Kriegsfuß standen.

In der Zwischenzeit bezahlt die einfache Bevölkerung auf fürchterliche Weise die Folgen dieser zynischen Politik und der amerikanischen Militärintervention, die ihnen – welch ein schlechter Scherz! – Freiheit und Fortschritt versprochen hatte. Zerstörung, Verarmung, Verfolgung, Herrschaft religiöser Milizen, Ausbreitung mittelalterlicher Weltanschauungen und Zerfall des Landes, das ist die Bilanz ihres imperialistischen Kriegseinsatzes.

(nach einem Artikel unserer französischen Genossen von Lutte Ouvrière vom 20.6.2014)

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