Startseite > Das Rote Tuch > 24 > Stuttgart zeigt: Wir dürfen uns nicht unterkriegen lassen...

Nr. 24, Oktober 2010 - Leitartikel

Stuttgart zeigt: Wir dürfen uns nicht unterkriegen lassen...

Die Politik hat versucht, sie zu ignorieren, totzuschweigen und wegzuprügeln: Doch die Proteste zehntausender Menschen gegen den Bahnhofsneubau halten an.

Sie haben unterschiedliche Beweggründe, aber in einem sind sich alle einig: Sie protestieren gegen ein Prestige-Projekt, für das gigantische 5 Milliarden Euro und mehr ausgegeben werden sollen – während gleichzeitig im öffentlichen Nahverkehr, bei Schulen, Gesundheit und Arbeitslosen alles zusammengespart wird. Auch würden allen, die täglich auf S- und Regionalbahnen angewiesen sind, Verschlechterungen und steigende Preise drohen.

Wenn wir nicht gefragt werden…

Natürlich wurde die Bevölkerung nie gefragt, ob sie das Milliardenprojekt will. Sobald es um wichtige Fragen geht, wird die Bevölkerung nicht gefragt. Wir sind in dieser „Demo-kratie“ dafür da, alle paar Jahre einen da oben zu wählen und dann die Folgen ihrer Entscheidungen auszubaden. Das aber wollen viele Menschen in Stuttgart diesmal nicht mitmachen.

Bereits 2008 hatten 67.000 Einwohner für ein Bürgerbegehren gegen den Bahnhofsbau unterschrieben. Der Stadtrat weigerte sich schlicht, eine solche Abstimmung durchzuführen. So gingen die Proteste weiter, Monat für Monat. Die Politiker versuchten sie zu ignorieren, hofften wohl, irgendwann ginge den Demonstranten die Puste aus. Stattdessen wuchs die Zahl der Demonstranten ständig – bis heute.
Die große Mehrheit ist gegen das Bauvorhaben und will die Bauarbeiten nicht so einfach zulassen. Was hinderte Regierung und Bahn so lange daran, einen Bau- und Vergabestopp zu verfügen und in Ruhe zu klären, wie es weiter geht? Was, wenn nicht die Interessen der großen Bau-, Industrie- und Immobilienkonzerne, für die Milliarden Euro auf dem Spiel stehen?
Milliardenaufträge bringt ihnen alleine der Bau des unterirdischen Bahnhofs... und weitere Milliarden die teuren Flächen in der Stuttgarter Innenstadt, die sie mit Büros und Einkaufszentren bebauen und vermarkten wollen.

Die Interessen solcher Konzerne bestimmen die Entscheidungen der Politik. Und so hat die CDU-Landes-regierung letztlich mit Gewalt versucht, die „störenden“ Demonstranten zu beseitigen: Am 30.9. ließ sie die Polizei mit Wasserwerfern, Reizgas, Schlagstöcken gegen tausende Demonstranten vorgehen, gegen alte Leute, Kinder,.... Hunderte mussten in überfüllte Krankenhäuser gebracht werden, teilweise mit gebrochenen Rippen, Nasenbeinbrüchen,... Einer hat für immer sein Gehör verloren.

Diese Brutalität hat Empörung und Solidarität im ganzen Land ausgelöst. Und sie hat noch mehr Menschen dazu bewegt, sich den Protesten anzuschließen: Bereits zwei Mal gingen an die 100.000 Menschen in Stuttgart auf die Straße. Damit ist dieser widerliche Plan der Regierung gescheitert.

…mischen wir uns selber ein!

Zwischen den handfesten Profitinteressen großer Konzerne und dem ebenso handfesten Druck hunderttausender Einwohner winden sich heute die Politiker. Sie werden mit Sicherheit versuchen, die jetzige Schlichtung in die Länge zu ziehen, um die Demonstranten zu ermüden und zu entzweien. Sie werden Zahlen fälschen, verzweifelt mit Tricks und Täuschungen arbeiten, um bis zu einer Volkabstimmung oder den Landtagswahlen im März die Stimmung zu verändern.

Und wenn heute noch keiner weiß, wie die Auseinandersetzung letztlich enden wird: Es ist für alle eine wichtige Erfahrung zu erleben, wie hilflos und klein diese selbstherrlichen Politiker werden können, wenn sich viele „Kleine“ einmischen und sich nicht nur einmal, sondern immer wieder und entschlossen mobilisieren.

Das Rote Tuch
Archiv