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Nr. 162, Februar 2023 - Leitartikel

Erdbeben in der Türkei und Syrien: Eine fürchterliche Katastrophe dramatisch verschlimmert durch Profitgier und Krieg

Die Folgen des schweren Erdbebens sind schrecklich: Am 16. Februar waren es schon über 42.000 Tote, und es werden jeden Tag mehr. Über Hunderttausend sind verletzt und Millionen Menschen obdachlos geworden. Sie haben alles verloren und sitzen in der Kälte auf der Straße.
Viele von ihnen hätten die ersten Tage nicht überlebt ohne die enorme spontane Hilfe aus der einfachen Bevölkerung, die sie aus den Trümmern gezogen haben und sie mit Decken, Essen, Trinkwasser und Medikamenten versorgen.

Das Epizentrum des Erdbebens lag in der Türkei. Hier hat das Erdbeben daher die schlimmsten Verheerungen angerichtet. Doch auch in Syrien sind Millionen Menschen betroffen. Und in beiden Ländern wächst von Tag zu Tag die Wut auf die Herrschenden. Denn eines ist klar: Dass so viele Menschen sterben mussten, war keine „Naturkatastrophe“.

Wie viele Menschen hätten in Syrien gerettet werden können, wenn die Menschen nicht mit bloßen Händen nach Verschütteten hätten graben müssen? Stattdessen stirbt nun selbst ein Teil derjenigen, die den Einsturz der Häuser überlebt haben.
Sie sterben, weil sie nicht medizinisch versorgt werden. Weil sie keine Zelte oder Decken gegen die Kälte haben. Weil es zu wenig Essen und kein Trinkwasser gibt. Denn schon vor dem Erdbeben gab es in Nord-Syrien (nach dem jahrelangen Krieg) kaum noch Krankenhäuser, Kläranlagen, Kraftwerke und andere lebenswichtige Infrastruktur für die Bevölkerung. Und selbst in der jetzigen katastrophalen Lage wurden die Grenzen nicht geöffnet.

Allein das Militär der USA verfügt über alle nötige Ausrüstung, um den Menschen mit allen nötigen Baugeräten, Wasser-Aufbereitungsanlagen, mobilen Zeltstädten und Krankenhäusern zu helfen. Doch die USA, ebenso wie Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Russland, haben ihr Militär lieber dazu genutzt, um Syrien mehrere Jahre lang zu bombardieren und mit Waffen zu überhäufen. Sie haben damals versprochen, die Infrastruktur wieder aufzubauen. Doch nichts ist passiert.
 
Stattdessen haben sie im Norden Syriens ein Pulverfass hinterlassen, das regelmäßig explodiert. Mehrere (unter anderem mit deutschen Waffen) hochgerüstete Staaten und Milizen liefern sich immer wieder Machtkämpfe, die die Hilfe für die Erdbeben-Opfer noch schwerer macht. Das Ergebnis: Es gibt keine Bagger. Es gibt kaum Strom. Ja, ein Teil der Bevölkerung hat in den letzten Jahren kein einziges funktionierendes Krankenhaus gesehen, dafür aber... den neuen Leopard-2-Panzer!
 
Schon ein kleiner Teil der 2.000 Milliarden Dollar, die weltweit jedes Jahr für Rüstung ausgegeben werden, könnte die Menschheit vor den schlimmsten Folgen der meisten Naturkatastrophen bewahren: Wenn man dieses Geld für angemessene Gebäude, Infrastruktur und Katastrophenschutz nutzen würde, statt es für Waffen auszugeben, die noch zusätzlich Tod und Zerstörung bringen.
Doch in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung geht es eben nicht danach, was der Menschheit nutzt, sondern was den Profit- und Machtinteressen der Herrschenden am besten dient – egal wie tödlich die Folgen sind.
 
Auch in der Türkei ist dies der Grund, warum das Erdbeben so viele Menschenleben gekostet hat. Da es dort regelmäßig zu Erdbeben kommt, müssten die Gebäude in der Türkei eigentlich wie in Japan gebaut werden. Und nach dem Erbeben von 1999, das über 18.000 Tote gefordert hatte, wurden die Bau-Vorschriften auch massiv verschärft.
Doch die Bau-Unternehmen halten sich einfach nicht daran. Und Regierung und Behörden verschließen die Augen und kassieren dafür ordentlich Schmiergeld.
 
Dieser kriminellen Profitgier ist es geschuldet, dass ganze Neubau-Viertel und Hochhäuser wie Kartenhäuser einstürzten. Profitgier und Korruption haben Zehntausenden ihr Leben geraubt – und Millionen ihre Existenz.
Die Wut darüber ist riesig. Viele machen ihr über Twitter und andere Medien Luft. Sie schreiben „Das menschliche Leben hat keinen Wert.“ und fragen: „Wo ist der Staat, wenn es darum geht, uns zu schützen?“
 
Angesichts der großen Empörung auf die Regierung denkt die Regierung von Präsident Erdogan bereits darüber nach, die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen lieber zu verschieben, die eigentlich im Mai stattfinden sollen. Um die Wut von der Regierung abzulenken und so zu tun, als würde diese nun etwas ändern, hat Erdogan außerdem eine Reihe örtlicher Bau-Unternehmer verhaften lassen. Doch gleichzeitig werden im ganzen Land bereits die nächsten unsicheren Gebäude hochgezogen!
 
Die arbeitende Bevölkerung erlebt im Moment, wie wenig sie sich darauf verlassen kann, dass sich der Staat um ihren Schutz kümmert. Und eigentlich gilt das nicht nur für die Türkei. Fragen wir doch nur die Opfer der Flutkatastrophe im Ahrtal vor anderthalb Jahren: Viele von ihnen warten bis heute vergeblich auf die versprochenen finanziellen Hilfen – obwohl der deutsche Staat viel reicher ist als der türkische. Und wie oft steht auch bei uns der Profit über Sicherheit und Gesundheit der Arbeitenden, Anwohner und Verbraucher? Nur dass es hier meist versteckter passiert.
 
In diesem menschenverachtenden kapitalistischen System steht der Schutz der Reichen und ihrer Profitinteressen immer und überall an erster Stelle. Und deren Schutz lässt sich nicht vereinen mit dem Wohl der einfachen Bevölkerung.
Um immer neue Katastrophen zu verhindern, muss man diesem Profitsystem ein Ende setzen. Erst wenn sich die arbeitende Bevölkerung die Macht erobert hat, selber alle wesentlichen Entscheidungen gemeinschaftlich zu treffen und kontrollieren, dann kann der Schutz und das Wohl der Bevölkerung wirklich an erster Stelle stehen.

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