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Nr. 157, September 2022 - Internationales

Queen Elisabeth: Der britische Kapitalismus verliert eine Identitätsfigur

Alle Staatschefs, Politiker und andere „wichtige Persönlichkeiten“ haben in den letzten Wochen ein Loblied auf die englische Königin gesungen. Sie verneigten sich vor dieser mittelalterlichen Institution, vor dieser Herrscherin von Gottes Gnaden. Die meisten „demokratischen“ Staatschefs bezeichneten die Monarchin gar als Vorbild. Wie bezeichnend!

70 Jahre lang verkörperte Queen Elisabeth die Monarchie. Sie war die stolze Herrscherin über ein großes Kolonialreich, das mit schlimmster Ausbeutung, Unterdrückung und Massakern an Völkern einherging und dessen Nachwehen noch heute zu spüren sind. Unter ihr führte die britische Armee im Namen der Krone einen erbitterten Krieg in Nordirland. Unter ihrem Zepter fanden in den 70er und 80er Jahren die Massenentlassungen, die massiven Angriffe auf die Sozialsysteme und die Gewerkschaften statt, die seitdem zu einer kontinuierlichen Verarmung der britischen Arbeiterklasse geführt haben. Und die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.

Die Queen hat sich allerdings aus dem Schmutz dieses Tagesgeschäfts herausgehalten. Sie hat einfach zu allem geschwiegen. Während Regierungen gehasst wurden, schwebte sie scheinbar über allem. Sie war die unbefleckte Symbolfigur der Nation, eine Herrscherin mit „Anstand und Pflichtbewusstsein“. Gerade dadurch schuf sie Akzeptanz für die herrschende Gesellschaftsordnung mit allem, was diese mit sich bringt: die Ausbeutung der (ehemaligen) Kolonien ebenso wie die der Arbeitenden im eigenen Land. Sie war eine stabilisierende Kraft für den britischen Kapitalismus.
Diese Aufgabe hat sie mit großer Überzeugung und Disziplin bis zum letzten Atemzug ausgeübt. Und sogar noch darüber hinaus. Nur wenige Stunden nach ihrem Tod sagten mehrere Gewerkschaften lange geplante Streiks „aus Respekt vor ihrer Familie und ihrem Dienst für das Land“ ab.

Nun hat die herrschende Klasse ihr Symbol für die nationale Einheit genau zu dem Zeitpunkt verloren, wo sie es am meisten braucht; zu einem Zeitpunkt, in dem der Kapitalismus in einer tiefen Krise steckt und der Klassenkampf in Großbritannien wieder zunimmt. Schlecht für sie – gut für die Arbeiterklasse!

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