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Nr. 68, Oktober 2014 - Ihre Gesellschaft

Flüchtlingsheime in NRW: Terror und Barbarei gibt es nicht nur in der Ferne

Es sind Bilder, die an Guantanamo erinnern, aber aus Flüchtlingsheimen in Essen und Siegen stammen: Flüchtlinge liegen gefesselt am Boden, werden von sadistischen Sicherheitsleuten getreten, geschlagen, werden gezwungenen, sich auf eine Matratze voll Erbrochenem zu legen.

Es sind Menschen, die gerade erst Monate einer erbarmungslosen Flucht aus Kriegsgebieten wie Syrien, Irak oder Afghanistan hinter sich haben. Alle haben Angehörige, die bei der Flucht ums Leben gekommen sind. Sie dachten, nun endlich seien Terror, Diktatur und Barbarei vorbei. Stattdessen finden sie sich in Deutschland in einer Art Gefängnis wieder, bewaffneten Männern ausgeliefert, die als „Sicherheitsdienst“ ganz offiziell das Sagen haben und von denen einige die Wehrlosigkeit der Flüchtlinge ausnutzen, um sie zu erniedrigen, zu bedrohen und zu misshandeln.

Ja, Barbarei gibt es nicht nur bei fundamentalistischen Terrorbanden. Es gibt sie auch bei den westlichen Staaten – ob als Besatzungsmächte wie die Soldaten im Irak, oder auch hier, vor unserer Haustür. Sie existiert mitten in Essener Innenstadt, mitten in einem Dorf im Siegerland, in der Straße nebenan – und oft ohne dass man es mitbekommt.

In den Flüchtlingsheimen macht ein ganzes System sie möglich: Es beginnt bei der Landesregierung, die die Flüchtlinge in die wenigen, überfüllten Heime mit bis zu 8 Betten pro Zimmer stopft. Und die dann das „Problem“ loswerden will, indem sie privaten Firmen 1.000 Euro pro Flüchtling zahlt, um sich „um die Flüchtlinge zu kümmern“.

Es geht weiter bei diesen Privatfirmen, die möglichst viel der 1.000 Euro für sich behalten wollen, und deshalb an allem sparen: Sie geben schlechtes und zu wenig Essen und kaum Kleidung aus, stellen keine Sozialarbeiter ein, verweigern Hilfsorganisationen den Zutritt zu den Heimen – damit ja keiner sieht, was drinnen vorgeht. Stattdessen aber heuern sie billige Sicherheitsdienste an, die „für Ruhe und Ordnung“ sorgen.
Und das System reicht bis zu den Sicherheitsdiensten, die für diesen Job Leute einstellen, die bereits mehrfach wegen Körperverletzung vorbestraft sind. Obwohl klar ist, dass ein Teil dieser Kriminellen ihre Macht ausnutzt, wenn man ihnen wehrlose Flüchtlingsfamilien hinter verschlossenen Türen „zur Bewachung“ ausliefert.
Heute, wo die schockierenden Bilder über die Misshandlungen an die Öffentlichkeit gelangt sind, gibt sich die NRW-Landesregierung bestürzt und beteuert, alles würde anders.
Doch ihre einzige Maßnahme sind ganze 10 (!) Kontrolleure, die künftig alle Heime in NRW besuchen und Sicherheitsleute auf Vorstrafen überprüfen sollen. Das war’s. Ansonsten bleibt alles beim Alten.

Die Flüchtlingsheime werden weiter privaten Firmen und privaten Sicherheitsdiensten ausgeliefert, die sich ganz alleine um die Flüchtlinge „kümmern“ dürfen. Und Regierungspolitiker und Journalisten schüren weiter eine Stimmung von Ablehnung und Angst gegenüber den Flüchtlingen: Ständig malen sie Schreckensbilder von der angeblichen „Flut an Flüchtlingen“ und den „riesigen Kosten“, die die öffentlichen Kassen überfordern würden. Auch damit tragen sie dazu bei, dass Schlägerbanden, ob Rechtsradikale oder einfach nur Kriminelle, sich berechtigt und stark genug fühlen, Flüchtlinge zu bedrohen, zu erpressen und zu drangsalieren. Die Grausamkeiten werden also weitergehen – und vielleicht schlimmer werden.

Dabei könnte es so einfach sein. Denn in Deutschland gibt es heute keinen „Flüchtlingsstrom“, anders als in Ländern wie der Türkei, wo tatsächlich in wenigen Tagen 170.000 Flüchtende über die Grenze strömten. Es geht um wenige tausend Flüchtlinge in einer Großstadt wie Essen. Wer will erzählen, dass es nicht möglich sei, für diese würdige Erstunterkünfte zu schaffen und sie vor allem schnell in Wohnungen statt in Heimen unterzubringen?

Stattdessen jammern sie und tun so, als würden die Städte angeblich jetzt schon unter den Ausgaben für die Flüchtlinge zusammenbrechen. Welch eine Lüge! Die Stadt Essen gibt heute für Flüchtlinge nicht mehr Geld aus als sie bezahlt, um die jährlichen Verluste eines einzigen Unternehmens, der Messe Essen GmbH auszugleichen – von deren Umbau ganz zu schweigen.
Und selbst wenn in ganz Deutschland alle Ausgaben für Flüchtlinge verdoppelt würden, wäre dies immer noch weniger Geld, als Finanzminister Schäuble mit seiner neusten Steuersenkung gerade den großen Firmen schenken will!

Doch es ist wie überall: Die Unternehmer, die Reichen, die Banken bekommen Milliarden öffentlicher Gelder hinterhergeschmissen. Für die Opfer ihrer Gesellschaft hingegen – Niedriglöhner, Arbeitslose, Alleinerziehende, ärmere Rentner, Flüchtlinge – ist jeder Cent zu viel.
Je schwächer und hilfloser eine Gruppe ist, desto schlimmer treffen sie die Folgen dieser Sparpolitik. Und gerade die Schwächsten versuchen die Herrschenden außerdem noch, für die leeren Kassen verantwortlich zu machen. Gerade die Flüchtlinge, die nur mit ihrem Hemd am Leib in ein fremdes Land kommen, fallen ihnen daher zum Opfer.

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