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Nr. 27, Januar 2011 - Leitartikel

Tunesien: Die Bevölkerung verjagt ihren Diktator

Das Ende des Diktators Ben Ali in Tunesien ist in erster Linie ein Sieg der Arbeitenden, der Arbeitslosen, der Jugend, der einfachen Bevölkerung Tunesiens, die seit einem Monat auf der Straße ist. Ausgelöst wurde die Bewegung durch einen jungen Straßenhändler, der sich aus Protest gegen die Übergriffe der Polizei selbst anzündete. Von der kleinen Stadt aus haben sich die Demonstrationen dann immer weiter ausgebreitet. Demonstrationen gegen die Arbeitslosigkeit und das Elend, unter denen die Mehrheit der Bevölkerung leidet, und gegen ein Regime, das keine andere Antwort kennt als Gewalt und Unterdrückung.

Der Diktator
schien allmächtig

Trotz der brutalen Gewalt der Polizei und der zahlreichen Toten und Verletzten hat die Entschlossenheit der Demonstranten nicht nachgelassen. Die Bewegung hat das ganze Land ergriffen und ließ dem Diktator letztendlich keine andere Wahl als die Flucht.
23 Jahre lang hatte er sich mithilfe eines enormen, gefürchteten Polizeiapparats und mit der Unterstützung der westlichen Großmächte an der Macht gehalten. Er schien unantastbar – und nun ist er weg. Die einfache Bevölkerung hat gezeigt, dass sie Alles umstürzen kann, wenn sie sich massenhaft dazu entschließt, das Unerträgliche nicht mehr länger zu ertragen.

Dennoch, was seit der Flucht Ben Alis am 14. Januar passiert, zeigt auch, dass noch längst nicht Alles gewonnen ist: Bewaffnete Anhänger des ehemaligen Diktators treiben weiter ihr Unwesen. Die Armee stellt sich als Schutz gegen diese Gruppen dar, aber sie kontrolliert auch direkt die Städte, will einen großen Teil der Macht ausüben und hindert die Bevölkerung daran, mit den Günstlingen der Diktatur abzurechnen, die das Land seit Jahren ausplündern.
Und die Regierung ist weiterhin in der Hand der Männer, die noch vor wenigen Tagen treue Diener Ben Alis waren. Offensichtlich wollten diese Leute nur deshalb, dass der viel zu unbeliebt gewordene Diktator verschwindet, um so vielleicht den größten Teil ihrer Macht und die Herrschaft der privilegierten Klassen retten zu können.

Doch die Arbeitenden, die Arbeitslosen, die jungen Leute dürfen sich nicht geopfert haben, dürfen nicht ihr Blut dafür vergossen haben, dass einzig die Fassade der Herrschaft geändert wird. Sie haben sich mit klaren Zielen erhoben: Sie wollen Schluss machen mit der Unfreiheit, und vor allem mit der Arbeitslosigkeit, der Armut, den Ungleichheiten, der Ungerechtigkeit, der Ausbeutung und der Korruption.
Heute demonstrieren sie weiter, organisieren und bewaffnen sich, um den Anhängern des ehemaligen Diktators entgegen zu treten. Und in der Tat, um die Erfüllung ihrer Forderungen zu erreichen, können sie sich nicht auf die Männer verlassen, die gestern noch mit Ben Ali regiert haben, auch wenn sie heute Demokratie versprechen. Sie können nur auf ihre eigenen Kräfte vertrauen, auf die Fähigkeit der Arbeiter und der Bevölkerung, sich zu organisieren und ihre Rechte durchzusetzen.

Man hat schon häufiger Diktatoren wie Ben Ali stürzen sehen, die dann von anderen Regimes ersetzt wurden, die kaum besser waren. Damit der Sturz des Diktators zu einer wirklichen gesellschaftlichen Veränderung führt, wird die arbeitende Bevölkerung noch kämpfen müssen. Doch sie hat eben erst im Kampf gegen Ben Ali gezeigt, dass sie dafür die Kraft haben kann.

Ein Beispiel für alle

Die Herrschenden in Tunesien, in den Nachbarländern und auch bei uns möchten, dass genau dies nicht geschieht. Sie möchten, dass die Mobilisierung der Massen in Tunesien schnellstmöglich aufhört, dass wieder „Ruhe und Ordnung“ einkehrt. Denn Armut, Arbeitslosigkeit und Unterdrückung sind keine Besonderheit von Tunesien. Diese unmenschliche Diktatur der Reichen, der Kapitalisten herrscht, mehr oder weniger offen, überall. Und auch der entschlossene, solidarische Kampf dagegen, den uns unsere Brüder und Schwestern in Tunesien so beispielhaft vorleben, kann Grenzen überschreiten.

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