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Nr. 109, Juni 2018 - Leitartikel

Für offene Grenzen und Niederlassungsfreiheit für alle Menschen!

Presse und Politiker überschlagen sich seit Wochen darin, die ehemalige Leitung der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) anzuschwärzen. Man könnte den Eindruck gewinnen, man habe es regelrecht mit Verbrechern zu tun. Was ihnen vorgeworfen wird? Sie hätten bis zu „1.200 Menschen zu viel“ Asyl gewährt.
Entgegen den Anweisungen der Regierung haben sie bei Flüchtlingen aus dem Irak, Syrien und der Türkei nicht nach jedem Vorwand oder formalen Fehler gesucht, um das Asyl zu verweigern. Sie haben etwas menschlicher geurteilt und damit den Menschen die Angst genommen, wieder dorthin zurückgeschickt zu werden, wo sie Krieg und Verfolgung ausgesetzt sind. Das soll ein Verbrechen sein?

Andere Außenstellen des BAMF (insbesondere in Bayern und Brandenburg) missbrauchen ihr Amt, um systematisch Flüchtlingen Asyl zu verweigern, die sich in Gefahr befinden und gesetzlichen Anspruch auf Asyl haben. Ist nicht eher das ein Verbrechen? Sie aber klagt niemand an.

Die BAMF-Beschäftigten in Bremen sind suspendiert und angeklagt. Anfangs wurde obendrein behauptet, sie hätten sich von den Flüchtlingen bezahlen lassen. Für diesen Vorwurf der Korruption gab es nie Beweise, ja nicht mal irgendwelche Indizien. Mittlerweile gestehen auch Politiker ein, dass die Beschäftigten wohl einfach helfen wollten.

Wenn sie von den Flüchtlingen Geld verlangt hätten, wäre dies abscheulich. Doch Seehofer oder Gauland sind die letzten, die das Recht hätten, sich darüber zu entrüsten. Mit den Flüchtlingen machen sie schließlich ihre Karriere und ihr Geld. Aber nicht, indem sie ihnen helfen – sondern mit einer Politik, durch die noch mehr Flüchtlinge ertrinken oder in libyschen Lagern gefoltert werden. 
Nicht erstaunlich, dass diese Leute jetzt die Gelegenheit ergreifen, um Wahlkampf zu machen. CSU, FDP und AfD verbreiten, Merkels Flüchtlingspolitik hätte chaotische Zustände geschaffen, in denen sich Flüchtlinge ganz leicht beim BAMF Asyl erschleichen könnten.

Eine Lüge! Alle Zahlen beweisen, dass das BAMF nicht „zu lasch“, sondern viel zu hart gegen Flüchtlinge vorgeht. 2016 hat es 146.000 Flüchtlingen Asyl verweigert, die dagegen geklagt haben. Und bei 44%, also bei 62.000 Flüchtlingen haben die Richter festgestellt, dass sie sehr wohl ein Recht auf Schutz hatten. Was sind die 1.200 Flüchtlinge, bei denen das BAMF die Gesetze etwas großzügiger ausgelegt hat – gegen diese 62.000 Flüchtlinge, denen es allein 2016 widerrechtlich Asyl verweigert hat?

Doch die herrschenden Politiker und Medien verbreiten lieber das Märchen, beim BAMF herrsche Chaos und Laschheit, um damit eine noch härtere Politik gegen Flüchtlinge zu rechtfertigen. Zum Beispiel begründet Seehofer damit, warum er Flüchtlinge in straff organisierte Massenlager mit bis zu 1.500 Insassen stecken und dort über ihr Asyl entscheiden will. Und die jetzt verbreitete Lüge, viele Flüchtlinge wären Asyl-Betrüger, soll auch die Empörung darüber ersticken, dass man Flüchtlinge sogar in Kriegsgebiete zurückschicken will.

Und diejenigen, die der Barbarei nicht tatenlos zusehen, stempeln sie als Verbrecher ab – wie vor einem Monat die Flüchtlinge im Lager Ellwangen. Als dort im Morgengrauen sechs Polizisten kamen, um einen 23jähigen Mann aus Togo abzuschieben, stellten sich 40 Bewohner vor den jungen Mann. Sie stellten sich vor ihn, obwohl sie wussten, dass sie für diese Tat selber abgeschoben werden könnten. Sie hatten keine Waffen, sie waren einfach nur viele… und zwangen die Polizisten so, unverrichteter Dinge wieder zu gehen.
Für diesen Reflex der Solidarität wurden sie drei Tage später von mehreren hundert Polizisten nachts überfallen, nackt gefesselt und 15 von ihnen aus dem Lager geholt und wegen Widerstands gegen die Polizei angeklagt – als wären sie Schwerstkriminelle!
All diese Menschen, die sich für andere einsetzen, denen die Herrschenden Unrecht zufügen, sind keine Kriminellen. Sie sind ein Vorbild: Piloten, die sich weigern, Flugzeuge zu fliegen, mit denen Flüchtlinge abgeschoben werden sollen. Schüler, die demonstrieren und ihre Schule besetzen, um die Abschiebung eines Mitschülers zu verhindern…

Sie machen genau das, was wir überall in der Arbeiterklasse wieder brauchen!
Wie würde sich das Klima und das Kräfteverhältnis verändern, wenn ein Leiharbeiter entlassen werden soll – und die ganze Abteilung sich vor ihn stellt? Wenn 30 Arbeiter in eine schlecht bezahlte Fremdfirma ausgelagert werden sollen – und 300 Arbeiter des Betriebs dagegen in den Streik treten? Wenn eine Familie von der Polizei aus ihrer Wohnung geschmissen werden soll, weil sie die 100 Euro Mieterhöhung des profitgierigen Immobilienkonzerns nicht bezahlen kann – und die anderen Mieter des Wohnblocks dazu kommen und die Räumung verhindern?

Genau das wollen die Herrschenden verhindern. Deshalb versuchen sie jedes Bewusstsein dafür zu zerstören, dass das, was heute unseren Arbeitskollegen, Nachbarn oder eben den Flüchtlingen passiert, morgen uns passieren kann. Deshalb verbreiten sie die Ideologie und Gewohnheit, dass „jeder sich selbst der nächste“ sei und man wegguckt, wenn es den anderen trifft – wodurch die ganze Gesellschaft immer unmenschlicher wird.
Und eben deshalb ist jeder Angriff der Herrschenden auf Menschen, die heute Solidarität mit anderen Ausgebeuteten üben, ein Angriff auf uns alle!

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