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Nr. 105, Februar 2018 - Leitartikel

Große Koalition: Wie ein Karnevalsverein… und trotzdem gefährlich

Noch immer gibt es keine Regierung. Die CDU zerstreitet sich. Bei der SPD jagt eine peinliche Aktion die nächste. Die Parteien erinnern mehr an einen Karnevalsverein. Doch dass sie sich so schwertun, eine Regierung zu bilden, hat politische Gründe.

40 Jahre lang hatten CDU/CSU und SPD zusammen immer über 80% der Stimmen. Sie hatten immer locker eine Mehrheit. Und wenn sich die CDU mal abgenutzt hatte, dann kam halt die SPD dran und umgekehrt.
Doch seit einigen Jahren haben Viele jede Illusion in diese beiden Parteien verloren. Die Stimmen sind daher viel zersplitterter, mehrere andere Parteien haben um die 10%. Und das macht die Bildung einer Regierung schwerer.

Vor allem der Wahlerfolg der AfD bringt ihr bisheriges System ins Wanken. Fast in ganz Europa passiert Ähnliches. Doch in Deutschland hat der Erfolg der Rechtsextremen alle besonders geprägt. Weil er neu ist. Und weil zum ersten Mal eine offen rassistische Politik wieder salonfähig geworden ist.

In einigen Bundesländern hat die AfD bereits viel mehr Stimmen als die SPD. Deshalb macht die SPD jetzt so einen Eiertanz. Sie will regieren, sie will die Posten. Doch sie hat Angst, dass sie endgültig ihre Wähler verliert, wenn sie weiter mit der CDU regiert.
Und deshalb ist auch die CDU gespalten: Die einen folgen Merkels Politik, die anderen wollen das Auftreten der AfD nachahmen – in der Hoffnung, dadurch ihre Stimmen zurück zu bekommen.

Ja, die AfD ist zu einer Konkurrenz für sie geworden. Deswegen können sie die AfD auch nicht leiden – und nicht wegen ihrer Inhalte. Davon hat die neue Große Koalition längst einige übernommen, wie die Obergrenze oder das Gesetz, das den Flüchtlingen verbietet, ihre Kinder aus der Hölle des syrischen Krieges zu holen. Und vor allem soll die CSU, deren Positionen sich kaum von der AfD unterscheiden, das Innenministerium bekommen! Es gibt also keinen inhaltlichen Graben zwischen der AfD und den Regierungsparteien. Die AfD ist nur noch schlimmer.

Wir brauchen nur nach Österreich zu schauen, wo nach 11 Jahren Großer Koalition jetzt die Schwesterpartei der AfD, die FPÖ mit regiert. Und was sind deren erste Maßnahmen? Die Arbeiter sollen künftig 60 statt bisher 40 Stunden die Woche ausgebeutet werden dürfen… und obendrein weniger Pausen haben. Unternehmer sollen weniger für Arbeitsunfälle bezahlen. Wer seinen Job verliert, soll weniger Arbeitslosengeld bekommen und nach einem Jahr gezwungen sein, jede noch so schlecht bezahlte, unsichere Arbeit anzunehmen. Und im Öffentlichen Dienst sollen tausende Arbeitsplätze vernichtet werden, was das Leben der einfachen Bevölkerung weiter erschweren wird.

Die FPÖ greift die Arbeiter noch brutaler an als die anderen Parteien. Doch sie lenkt davon ab, indem sie gleichzeitig widerwärtige Gesetze gegen Migranten durchsetzt und so tut, als würde sie damit „die Österreicher“ beschützen… während sie in Wahrheit das Leben aller Arbeiter verschlechtert.
Und genau dasselbe macht die AfD! Auch sie steht bereit, um zu regieren und die Arbeiter für den Profit der Kapitalisten weiter niederzudrücken, sobald die anderen Parteien sich zu sehr abgenutzt haben. Mit ihr kommen die Arbeiter vom Regen ins Gewitter.

Wir dürfen allerdings auch die Große Koalition nicht unterschätzen. Bei all ihren Pleiten, Pech und Pannen weiß sie genau, welche Politik sie durchsetzen will. Und das sind nicht ihre angeblichen „Wohltaten“ für uns: Wie ihre „Mindestrente“, bei der man künftig statt 800 ganze... 880 Euro Grundsicherung bekommen soll, wenn man mindestens 35 Jahre lang malocht hat – aber auch nur, wenn man wie bei HartzIV beweist, dass man kein Erspartes hat und auch keinen Lebenspartner mit etwas mehr Rente. Oder ihre 8.000 neuen Pflegekräfte, durch die jedes Altenheim im besten Fall gerade mal eine halbe Pflegekraft mehr bekäme.
All diese „Verbesserungen“ sind nichts als heiße Luft, wenn sich nicht gar reale Verschlechterungen dahinter verbergen.

In Wahrheit wollen CDU und SPD genau dieselbe Politik weiterführen wie bisher: Eben die Politik, die dazu geführt hat, dass die 40 reichsten Kapitalisten in Deutschland heute mehr besitzen als die Hälfte der Bevölkerung. So wollen sie den Autokonzernen, den Immobilienkonzernen und anderen Konzernen trotz Rekordgewinnen weitere zig Milliarden Euro an Subventionen schenken. Und diese Konzerne, die Jahr für Jahr tausende Arbeitsplätze vernichten, sollen obendrein weniger Geld in die Arbeitslosenversicherung einzahlen müssen.

Für uns hingegen hält die Große Koalition weitere Angriffe parat. Sie will noch mehr Krankenhäuser schließen oder privatisieren. Sie will Arbeit auf Abruf zu einem „normalen“ Arbeitsverhältnis machen. Und überhaupt will sie das Arbeitszeitgesetz aufweichen, damit die Bosse uns noch einfacher beliebig lange arbeiten lassen können, wie sie es brauchen. Und das sind nur die Angriffe, die bereits in ihrem Koalitionsprogramm stehen!

Genau deshalb will die kapitalistische Klasse, dass schnell eine stabile Regierung gebildet wird, die ihre Interessen vertritt – gegen die Arbeiter im eigenen Land und im Rest der Welt. Für uns Arbeiter wird die nächste Regierung nur der nächste Gegner sein. Bereiten wir uns also darauf vor, uns selber zu verteidigen: gegen ihre Angriffe genau wie gegen die Entlassungen, Erpressungen und Einsparungen, mit denen die Bosse auch ohne Regierung unser Leben immer weiter verschlechtern.

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