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Nr. 34, September 2011 - Internationales

Libyen: Nach der Diktatur ist vor der Diktatur

Noch ist der Krieg in Libyen nicht vorbei. Doch nach dem Sturz des Diktators Gaddafi stellt sich heute die Frage: Was hat die Bevölkerung nach all dem Tod, der Zerstörung und den Bombardierungen zu erwarten?

Ein Übergangsrat aus den Führern der Rebellenarmee hat die Regierung übernommen. Das sind die Leute, die vom Westen mit Waffenlieferungen und Luftangriffen unterstützt wurden und die man uns heute als die „neue demokratische Regierung“ Libyens verkauft.
Weder Sarkozy, Merkel, noch Obama stört offensichtlich, dass dieser Rat größtenteils aus treuen ehemaligen Funktionären von Gaddafi, aus diktatorischen Stammesführern und Islamisten besteht. Der Vorsitzende dieses Rates war unter Gaddafis blutiger Diktatur Justiz(!)minister. Auch die Nr.2 des Geheimdienstes, unter Gaddafi verantwortlich für die Verfolgung und Folter, hat sich der neuen Regierung angeschlossen, mit ihm viele Generäle, Offiziere, hohe Polizeibeamte.

Die westlichen Länder können so mit ihren alten Bekannten weiterarbeiten. Das zeigen Unterlagen, die beim Einmarsch in Tripolis gefunden wurden: Die USA und Großbritannien schickten nämlich Gefangene nach Libyen, um sie von Gaddafis Geheimdienst foltern zu lassen – und lieferten im Gegenzug dem Geheimdienst Informationen über Gaddafis Gegner.

Viel Demokratie kann sich die libysche Bevölkerung also leider nicht erhoffen, weder von der neuen Regierung, noch von den westlichen Staaten.
Worum es denen in diesem angeblichen „Kampf um die Demokratie“ wirklich ging, wurde in den letzten Wochen mehr als deutlich: Der Krieg ist noch nicht beendet, doch sie kämpfen wie Hyänen einzig darum, wer von ihnen nun den meisten Einfluss auf die künftige Regierung Libyens haben und damit die meisten Wirtschaftsverträge bekommen wird.
Es ist ein Kampf um die Beute und die ist verlockend: insbesondre die großen Ölvorkommen des Landes und die Milliarden auf Gaddafis Konten, von denen sich die Konzerne große Aufträge zum „Wiederaufbau“ versprechen.
Die Rebellenführer haben bereits bekannt gegeben, dass sie die Länder bevorzugen wollen, die sie militärisch unterstützt haben. Frankreichs Kapitalisten, die schon mit Gaddafi Milliardenverträge hatten, hoffen daher, unter den neuen Herrschern ihre Vorherrschaft über die libyschen Reichtümer noch ausbauen zu können. Auch Englands Kapitalisten hoffen auf ein großes Stück vom Kuchen.

Die Länder hingegen, die im Krieg nicht an vorderster Front waren, bangen um ihre Profite. Italiens Präsident Berlusconi hat sofort die Rebellenführer empfangen, um sie zu umschmeicheln und dabei zu bitten, „alle bestehenden Verträge mit dem italienischen Ölkonzern Eni einzuhalten“.

Und erst Deutschland! Deutschland war unter Gaddafi zweitgrößter Handelspartner von Libyen. Man belieferte das Land mit Maschinen, Chemieprodukten, Autos… Heute ärgern sie sich, dass sie eher auf den Sieg Gaddafis spekuliert und sich aus den Kampfhandlungen herausgehalten haben.

Und so kriechen alle Politiker zu Kreuze: Alle beteuern auf einmal, wie falsch es gewesen sei, dass sie sich nicht daran beteiligt hätten, die libysche Zivilbevölkerung zu bombardieren… und dass man sie doch bitte trotzdem am Kuchen beteiligen solle.

Die einfache Bevölkerung Libyens wird bei alle diesem Geschachere nicht gefragt. Über sie, über ihr Leben, über ihr Land wird entschieden.
Sie darf nur den Preis des Krieges bezahlen: Sie hat die hunderten Toten zu beklagen, sie muss heute ohne Wasser und Strom überleben inmitten der Verwüstung, die die Luftangriffe der westlichen Truppen angerichtet haben.

Um an der Armut, Ausbeutung und Unterdrückung ihres Lebens etwas zu ändern, kann sie weder auf die neue Regierung, noch auf die westlichen Staaten vertrauen – sondern nur auf sich selber.

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