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Nr. 158, Oktober 2022 - Leitartikel

Die Interessen der Arbeitenden zuerst!

Trotz Gaspreis-Bremse sind wir im Winter den Wucherpreisen der Energiekonzerne ausgeliefert. Denn während der Gaspreis für die großen Industrie-Betriebe ab Januar gedeckelt wird, gilt das für uns erst nächstes Frühjahr, am Ende der Heizperiode! Selbst dann bleibt der Gas-Preis hoch, während alle anderen Preise ebenfalls weiter steigen.

In den letzten Wochen sind in verschiedenen Städten Zehntausende auf die Straße gegangen. Viele von ihnen wollen nicht schweigend zusehen, wie wir ärmer werden. Doch die Frage ist: Gegen wen richten wir unsere Wut – und mit welchen Forderungen?

Die AfD will sie unter das Motto stellen: „Unser Land zuerst“. Sie fordert, die Regierung solle endlich „unsere deutschen“ Interessen an erste Stelle setzen. Doch welche deutschen Interessen meint sie? Die Interessen der Bosse von BMW, RWE und anderen deutschen Konzerne? Oder die von uns Arbeitenden? Sie wollen uns einreden, dass die Kapitalisten die gleichen Interessen hätten wie wir. Doch das ist eine gefährliche Sackgasse.

Die Weltwirtschaft schlittert gerade in eine Rezession, nicht zuletzt wegen der sinkenden Kaufkraft. Auch in Deutschland können viele Unternehmen weniger verkaufen und exportieren. Hinzu kommen Material-Mangel und hohe Energiekosten. Erste Betriebe drosseln bereits ihre Produktion.
Für die Herrschenden ist klar, dass wir Arbeitenden auch dafür den Kopf hinhalten sollen: mit Kurzarbeit und Betriebsschließungen. Schon jetzt verlangen sie in vielen Betrieben, dass wir trotz 10% Inflation auf entsprechende Lohnerhöhungen verzichten. Sie erzählen uns, angesichts der Krise müssten wir „realistisch“ sein und verzichten.

Die Aktionäre der 40 größten deutschen Konzerne jedoch haben sich gleichzeitig unfassbare 50% mehr Dividende gezahlt! Sie haben die Rekordsumme von 51 Milliarden Euro aus den Betrieben herausgezogen und auf ihre Privatkonten überwiesen. Das ist ihre „Vor-bereitung“ auf die Krise: die Kassen der Konzerne plündern, solange sie noch voll sind – wer weiß, was morgen ist.

Die Herrschenden handeln nur nach einer Devise: „Die Profite zuerst“. Setzen wir ihnen entgegen: „Unsere Löhne zuerst! Unsere Arbeitsplätze zuerst! Die Arbeiterklasse zuerst!“ Dies ist die einzige Politik, mit der wir Arbeitenden uns in der Krise verteidigen können. Und in diesem Kampf sind unsere Verbündeten die streikenden Arbeitenden in den französischen Raffinerien und englischen Häfen, ja die Arbeitenden aller Länder.

Im Moment richtet sich die Wut Vieler vor allem gegen die Regierung, die einfach zusieht, wie wir untergehen – und uns zynisch Tipps zum Sparen gibt. Und sie hat diese Wut mehr als verdient. Doch uns muss bewusst sein, dass die Regierung auch dafür da ist, um als Blitzableiter zu dienen. Wir sollen uns an der Regierung abreagieren, während die Kapitalisten geschützt hinter ihr im Schatten stehen.
Notfalls wird die Regierung ausgetauscht. Doch das ändert nichts, solange wir die wahren Verantwortlichen der Krise nicht in Frage stellen: Die Besitzer der Konzerne und Banken, die für ihr Recht auf grenzenlosen Profit Produktion und Lieferketten kaputtsparen, Energie- und Rohstoffpreise willkürlich hochschrauben, die Spekulation anheizen…

Gegenüber diesen Großkapitalisten und den Gesetzen ihrer Profit-Wirtschaft sind die Regierungen in Wahrheit vollkommen unbedeutend. Sie versuchen nur, auf deren Entscheidungen und die Krisen ihres Systems zu reagieren.

Und bei der Geschwindigkeit, in der sich die Krise seit zwei Jahren verschärft, torkeln alle Regierungen in Europa eigentlich nur noch hin und her, schwanken von einem Notfallplan zum nächsten – in dem Versuch, die Krise zumindest zu dämpfen. Ohne Erfolg. Denn selbst dafür müssten sie Grundlagen dieser Wirtschaftsordnung in Frage stellen. Gerade dies aber ist für die Politiker, die allesamt die Interessen der kapitalistischen Klasse vertreten, undenkbar.

So würden zwar alle Regierungen in Europa gerne den Gaspreis (vor allem für die Industrie) senken – in der Hoffnung, dadurch die Rezession zu verlangsamen. Doch fast alles, was den Preis heute nach oben treibt, ist für sie unantastbar: Dass solche lebenswichtigen Güter im Besitz privater Konzerne sind, die ganz allein über deren Preis entscheiden dürfen, ist für sie ebenso ein heiliges Grundrecht wie das Recht aller Kapitalisten, auf diese lebenswichtigen Güter an der Börse zu spekulieren und damit Profit zu machen.

Also bleibt der Regierung nur ein Mittel: nämlich einen Teil der verlangten Wucherpreise mit dem Geld der Allgemeinheit zu zahlen. Selbst die kleine Gaspreis-Bremse der deutschen Regierung kostet dadurch schon 100 Milliarden Euro. 100 Milliarden, die direkt in die Taschen der Energiekonzerne fließen. Und all die Schulden, die die Regierung dafür macht, bergen ein neues Krisen-Risiko. Man braucht nur nach Großbritannien zu gucken, wo die Schulden für ein geplantes Krisen-Paket die Börsen in Aufruhr versetzt und das Land beinahe in eine Finanzkrise gestürzt haben.

Mit jedem Mittel, das die Herrschenden heute zur Bekämpfung der Krise einsetzen, lösen sie nur die nächste Erschütterung aus. Denn die Krise ist kein oberflächliches Phänomen, ist nicht durch ein Land oder ein einzelnes Problem verursacht. Sie ist Ausdruck einer unheilbaren Krankheit des gesamten kapitalistischen Systems, das es trotz all seiner riesigen technischen Möglichkeiten, die die Menschheit nach vorne bringen könnten, nur noch schafft, eine kleine Minderheit unfassbar reich zu machen – während alles andere vor die Hunde geht.

Damit die Menschheit eine Zukunft hat, wird die Arbeiterklasse die Kapitalisten enteignen, selber die Entscheidungsgewalt übernehmen und eine neue Wirtschaftsordnung errichten müssen.

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