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Nr. 155, Juli 2022 - Leitartikel

Häfen, Uni-Kliniken, Flughäfen: Nichts geht mehr!

Häfen, Flughäfen, Uni-Kliniken... In verschiedenen Betrieben protestieren Arbeitende derzeit gegen den Personalmangel und die irrsinnige Arbeitsüberlastung, die querbeet durch alle möglichen Branchen ein bislang nicht gekanntes Ausmaß angenommen haben.

Dieser Personalmangel ist kein Versehen oder die Folge der Pandemie. Personalmangel ist eigentlich sogar das falsche Wort. Denn es gibt keinen Mangel an Arbeitskräften. Wie viele Millionen suchen gleichzeitig eine Stelle, aber bekommen keine oder nur befristete Teilzeit- oder Minijobs – sogar in den Branchen, wo die Unternehmer angeblich händeringend Personal suchen, wie in den Flughäfen, der Gastronomie oder der Altenpflege!
Der sogenannte Personalmangel ist in Wahrheit das zugespitzte Ergebnis der jahrzehntelangen Sparpolitik von Unternehmen und Regierungen. Er ist das Ergebnis davon, dass über Jahre überall unzählige Arbeits- und Ausbildungsplätze vernichtet wurden – im Öffentlichen Dienst genauso wie in quasi allen Bereichen der privaten Wirtschaft.

„Sozialverträglicher Stellenabbau“ haben sie das oft genannt. Wir sehen ja heute, wie sozialverträglich die Folgen dieser Arbeitsplatzvernichtung sind! Die Arbeit ist oft nur dann zu schaffen, wenn alle am Anschlag arbeiten, niemand krank oder in Urlaub ist und alles nach Plan läuft. Doch bei jedem kleinen Problem, einer Verzögerung in der Lieferkette oder auch nur eine Erkältungswelle, bricht das Kartenhaus zusammen.
Ganz zu schweigen davon, dass sie die Arbeitsbedingungen und Löhne in einer Reihe Betriebe mittlerweile dermaßen verschlechtert haben, dass viele schnell wieder kündigen.

Der Personalmangel ist also kein Schicksalsschlag, den man hinnehmen muss – sondern eine Politik der Herrschenden. Die Streiks in den Häfen und Kliniken sind die richtige Antwort darauf!
An den Unikliniken in NRW fordern die Streikenden mehr Personal, um Mindestbesetzungen in allen Bereichen sicherzustellen. Und dafür haben sie sich zusammengesetzt und genau überlegt, wie viele Patienten eine Pflegekraft auf einer Intensivstation betreuen kann oder um wie viele Patienten sich eine Servicekraft oder eine Physiotherapeutin vernünftig kümmern kann. Niemand kann dies besser beurteilen als sie. Sie, die dort täglich arbeiten, wissen am besten, was gebraucht wird. Und deshalb sollten auch sie darüber entscheiden. Das gilt nicht nur in den Kliniken, sondern in allen Betrieben!

Die Arbeitenden haben obendrein keine vom Rest der Bevölkerung getrennten Interessen. Nicht umsonst rufen sie in ihren Streiks: „Mehr von uns ist besser für alle!“ Nicht umsonst haben ihre Streiks so viel Sympathie bei der Bevölkerung. Wenn sie für ihre Interessen eintreten, kämpfen sie letztlich für alle.
Die Interessen derjenigen aber, die heute das Sagen haben – die Kapitalisten – sind dazu diametral entgegengesetzt.

Nehmen wir doch nur die Flughäfen. Hier haben die Konzerne die Pandemie genutzt, um zehntausende zu entlassen und nur einen Teil davon wieder einzustellen, oft zu schlechteren Bedingungen. Und das, obwohl sie Milliardenunterstützung und das gesamte Kurzarbeitergeld vom Staat bekommen haben. Das Ergebnis ist das heutige Chaos an den Flughäfen, unter dem Beschäftigte wie Fluggäste leiden – während die Lufthansa von dem so eingesparten Geld die größte italienische Fluggesellschaft aufkauft, um noch mehr Gewinn zu machen.

Oder die Häfen. Hier stauen sich Schiffe und Container, obwohl viele Hafenarbeiter*innen bereits 50-60 Stunden die Woche arbeiten. Doch die Hafenbetreiber wollen noch mehr Stellen abbauen, nur um noch mehr Millionen für die Aktionäre einzusparen!
Sie sparen weiter, obwohl sie damit sogar die Grundlagen ihrer eigenen Profitwirtschaft untergraben. Sie haben so viel Personal eingespart, dass 43.000 Container wochenlang stehen bleiben – und mit ihnen Fabriken, Baustellen und Werkstätten, die auf die Güter in diesen Containern warten.
Sie haben so viel Personal eingespart, dass Flugzeuge am Boden bleiben oder Chemie-Anlagen heruntergefahren werden müssen. Sie haben so viele Fabriken und Lager aus Kostengründen geschlossen, dass die Produktion nicht mehr ohne ständige Verzögerungen bei den Lieferketten und Stillständen in den Betrieben abläuft.

Und trotzdem sparen sie immer weiter. Denn es ist der einfachste Weg, um ihre Profite zu erhöhen. Die Absatzmärkte weltweit sind gesättigt. Sie verringern sich eher noch: Denn wie sollen die Menschen mehr kaufen, wenn sie weltweit immer ärmer werden?
Die Kapitalisten können ihre Gewinne daher nicht mehr erhöhen, indem sie mehr produzieren. Sondern nur noch dadurch, dass sie alles Bestehende auspressen und aussaugen: die Arbeitenden, die Infrastruktur, die Staatskasse, die Krankenhäuser und Altenheime, ihre eigenen Fabrikanlagen und Betriebe . Und indem sie mit anderen Kapitalisten umso aggressiver um die verbleibenden Absatzmärkte kämpfen – mit all den Krisen, Handelskriegen und letztlich Kriegen, die dies hervorbringt.

Das Großkapital kann damit leben, dass seine marode Wirtschaftsordnung immer weiter aus den Fugen gerät. Denn auch stockende Lieferketten, Chaos und Krieg sind für sie noch ausgezeichnete Gelegenheiten, sich zu bereichern. Deshalb werden sie weitermachen – solange, bis die arbeitende Klasse ihnen die Macht wegnimmt. Nur sie, deren persönliche Interessen im Einklang mit den Interessen der gesamten Menschheit stehen, kann der Welt eine andere Perspektive bieten.

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