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Nr. 88, Juli 2016 - Leitartikel

Brexit: Die Arbeiterklasse bezahlt für die Demagogen auf beiden Seiten

Seit bei dem Referendum in Großbritannien eine Mehrheit für den EU-Austritt gestimmt hat, drehen und wenden sich alle herrschenden Politiker. Sie suchen nach Wegen, wie es jetzt mit der EU und Großbritannien weitergehen kann.
Eins ist sicher: Die Banken und Konzerne sollen keinen Schaden nehmen. Sie sollen auf jeden Fall weiter ungehindert ihre Profite machen können.

Die Arbeiter hingegen werden bezahlen, in Großbritannien und in ganz Europa. Schon nutzen die Herrschenden überall die Gelegenheit, um über mögliche wirtschaftliche Folgen des EU-Austritts zu jammern und die Arbeitenden auf weitere Entlassungen, neuen Verzicht und höhere Steuern einzustimmen.

Ganz zu schweigen davon, was es für sie für Folgen hätte, wenn Großbritannien zum Schneeball würde: Wenn weitere Länder sich abspalten und weitere Grenzen in Europa die Arbeitenden zerteilen würden. Man denke nur daran, was heute die europäischen und vor allem die polnischen Arbeiter erleben, die seit Jahren in Großbritannien ihr Zuhause haben, dort arbeiten und nun nicht wissen, ob sie nicht morgen aus dem Land geschmissen werden.

Die herrschenden Politiker in Großbritannien, die heute Krokodilstränen über das Ergebnis der Abstimmung vergießen, tragen die Verantwortung für diese Entwicklung.
Denn um von ihrer eigenen Politik für die Kapitalisten abzulenken, haben sie seit Jahren selber die EU und die Migranten für alle Verschlechterungen verantwortlich gemacht. So, wie die Politiker es derzeit in vielen Ländern machen. Und sie haben dafür in Kauf genommen, dass ihre Demagogie explosive Folgen haben könnte.
Ob Konservative oder Sozialdemokraten, sie haben behauptet, sie müssten bei der britischen Bevölkerung sparen, weil die EU so teuer sei und die Migranten zu viel Sozialhilfe wollten – während sie in Wahrheit den Banken das Geld in den Rachen werfen.

Sie haben unablässig die Einwanderer aus anderen EU-Ländern und überhaupt die Migranten für die Arbeitslosigkeit und die niedrigen Löhne verantwortlich gemacht – statt gegen die wahren Verantwortlichen vorzugehen: die Konzerne, die zur Steigerung ihrer Profite immer weiter Arbeitsplätze abbauen und die Löhne drücken.

Jahrelang haben die herrschenden Politiker so die Migranten und die EU als Ausrede benutzt für ihre Angriffe, die viele Arbeiter in Armut und Verzweiflung getrieben haben. Und viele, die für den EU-Austritt gestimmt haben, haben dies nicht zuletzt aus berechtigter Wut über diese Parteien und ihre Verschlechterungs-Politik getan. Und auch aus Ablehnung dieser EU, die so offensichtlich nur die EU der Kapitalisten und Banken ist.

Doch die Arbeitenden sind damit von einer Sackgasse in die nächste, wohl noch schlimmere Sackgasse geraten. Der EU-Austritt bedeutet die Fortsetzung der arbeiterfeindlichen Politik. Schon haben die Herrschenden neue Sparpläne und Entlassungen angekündigt, nur dass sie sie jetzt mit dem EU-Austritt rechtfertigen.
Der Wahlkampf für den EU-Austritt hat obendrein das politische Gift des Nationalismus und Rassismus noch weiter verbreitet. Er hat die Spaltung zwischen den Arbeitern noch vergrößert: zwischen britischen und anderen europäischen Arbeitern, zwischen alteingesessenen Migranten und denen, die erst vor kurzem gekommen sind.
Der Sieg von rechtsextremen Parteien wie UKIP (eine Partei ähnlich der AfD) hat außerdem rechtsradikale Schläger sichtlich ermutigt, die Terror und Angst in den Arbeitervierteln säen, vor polnischen Kulturzentren demonstrieren und pakistanische Arbeiter überfallen.
Und welche Folgen könnte es erst für die Bevölkerung haben, wenn Großbritannien selber an dieser Entscheidung in mehrere Staaten zerbrechen sollte?

Ja, die arbeitende Bevölkerung in Großbritannien bezahlt hart für die Krise und jetzt noch dafür, dass sie sich in eine Diskussion hat hineinziehen lassen, die nicht die ihre ist. In eine Wahl, in der keine der beiden Seiten ihr eine Perspektive zu bieten hat. Und das muss eine wichtige Lehre für uns alle sein!

Die Rettung liegt für die Arbeitenden nicht in der Frage, ob sie sich lieber im Europa der Kapitalisten ausbeuten lassen wollen oder im Großbritannien oder Deutschland der Kapitalisten. Und sie liegt erst recht nicht in einer Politik, die uns Arbeitende untereinander ausspielt.
Wenn wir wollen, dass sich für uns als Arbeitende etwas ändert, müssen wir uns gegen die wenden, die wirklich unsere Lebensbedingungen zerstören, und das sind die Kapitalisten und ihre Regierung in unserem eigenen Land.

Wir müssen ihr Recht in Frage stellen, uns zu entlassen und uns immer unsicherere Jobs aufzuzwingen, um ihre Profite zu erhöhen. Ihr Recht, unsere Löhne immer weiter zu senken. Ihr Recht, das Geld der öffentlichen Kassen zu plündern, das in den Krankenhäusern oder Schulen gebraucht wird. Und diese Interessen sind die gemeinsamen Interessen aller Arbeitenden.

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