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Nr. 29, März 2011 - Internationales

Tunesien: Die arbeitende Bevölkerung kämpft weiter

Zwei Monate nach dem Sturz des Diktators gehen die Demonstrationen und Streiks in Tunesien weiter. Wer geglaubt hatte, die Bevölkerung würde sich mit dem Rücktritt des Diktators und ein paar warmen Worten von Demokratie abspeisen lassen, den hat die einfache Bevölkerung eines Besseren belehrt.

Die Bevölkerung verlangt, dass alle Verantwortlichen der Diktatur verschwinden. Und so hat sie in den letzten Wochen regionale Gouverneure verjagt und Polizeireviere und Bezirksregierungen gestürmt. Und 4 Tage nach dem Sturz Ben Alis hat sie auch wieder begonnen, gegen die Regierung zu demonstrieren, diesmal gegen die neue Übergangsregierung. Denn die bestand ebenfalls zum großen Teil aus Ministern, die schon unter dem Diktator Minister waren.

Demokratie... aber nicht für die Arbeiter?

Diese Übergangsregierung wurde von den USA und Europa unterstützt als die neue „Demokratie“. Doch kaum hat die einfache Bevölkerung in Tunesien ihre demokratischen Rechte wie Rede- und Demonstrationsfreiheit wahrgenommen, hat man ihnen gezeigt, was für sie diese Demokratie heißt: Sofort sind Armee und Polizei mit Gewalt gegen die Demonstranten vorgegangen, mit Tränengas und Waffen, und haben mehrere Demonstranten umgebracht.
Dennoch wurden die Demonstrationen immer größer, bis erneut über 100.000 Menschen auf der Straße demonstrierten… und letztlich der Regierungschef am 27. Februar zurücktreten musste.

Gleichzeitig finden in unzähligen Fabriken und Städten Arbeitsniederlegungen, Streiks und Sitzblockaden statt.

Die Arbeiter fordern Festeinstellungen, Lohnerhöhungen von 30, 50 oder 80%, freie Gewerkschaften oder auch die Absetzung verhasster Manager und Firmenchefs.
Ob Bergleute oder Müllabfuhr, ob bei Henkel oder der Telekom, in Hotels oder Krankenhäusern – überall kämpfen die Arbeiter darum, dass sich mit dem Sturz der Diktatur nun auch etwas an ihren schlimmsten sozialen Problemen ändert, an der hohen Arbeitslosigkeit, an Löhnen von 125 Euro im Monat, an explodierenden Lebensmittelpreisen, an Armut und Hunger…

Bei der Müllabfuhr haben es die Arbeiter geschafft, eine Verdoppelung ihres Lohnes durchzusetzen. Und mit 6 Wochen Streik, Sitzblockaden und Demonstrationen haben Arbeiter und Arbeitslose von Gafsah bereits die Einstellung von 4400 Arbeitslosen in den Phosphatminen erreicht.

Jedes Mal müssen die Verbesserungen gegen den Widerstand von Firmenchefs und Regierung erkämpft werden, die mit Polizei und Armee drohen. Doch die Angst vor der brutalen Polizei, mit der die Unternehmen bislang die gnadenlose Ausbeutung der Arbeiter durchgesetzt haben, greift nicht mehr.

Politische Perspektiven sind notwendig

Stück für Stück haben die Arbeitenden in Tunesien mit ihrem Mut, ihrer Ausdauer und ihrer Opferbereitschaft bislang einen Erfolg nach dem anderen errungen. Nichts davon hat man ihnen freiwillig gegeben, nirgendwo konnten sie auch nur auf die Unterstützung der Politiker bauen, die ihnen demokratische und soziale Reformen versprochen hatten. Jede demokratische und soziale Veränderung haben sie selber erkämpft.

Damit ihnen diese Erfolge nicht wieder genommen werden, brauchen die Arbeitenden heute weitergehende, politische Perspektiven. Solange man nämlich die Unternehmen und Banken sowie den Staat in den Händen der Wirtschafts- und Finanzbosse und ihrer Helfer lässt, solange wird der soziale Krieg weitergehen. Denn solange das Bürgertum die Macht behält, wird es immer versuchen, selbst die kleinsten Zugeständnisse wieder zurückzuerobern, die es den kämpfenden Arbeitenden machen musste.

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