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Nr. 66, Juli 2014 - Leitartikel

Wir Arbeitenden machen die Betriebe nicht arm, sondern reich!

Am 3. Juli hat die Regierung den Mindestlohn beschlossen. Endlich, im Jahr 2015, werden hunderttausende Küchenhelfer, Verkäuferinnen, Altenpflegehelfer, Kellner vor allem in Ostdeutschland nicht mehr gezwungen, für 5 oder 6 Euro die Stunde zu arbeiten, sondern bekommen zumindest 8,50 Euro.

Doch zahlreiche Arbeitende hat die Regierung hiervon ausgenommen. Arbeiter unter 18 und Langzeitarbeitslose dürfen auch weiterhin für 4 oder 6 Euro ausgebeutet werden, ganz zu schweigen von den 1-Euro-Jobbern.

Viele andere werden bis 2017 warten müssen, bis sie endlich den Mindestlohn bekommen: Zeitungsausträger, Frisöre, Pförtner und ein dutzend weiterer Branchen. Und zwar, kein Scherz, mit dem Argument, dass deren Betriebe – also zum Beispiel die WAZ-Mediengruppe oder Kötter Security – eine so ‚schnelle‘ Anhebung der Löhne auf 8,50 Euro angeblich nicht verkraften könnten.

Mit demselben Argument, dass man die Wirtschaft nicht mit „zu hohen Löhnen“ überfordern dürfe, hat die Regierung den Mindestlohn auch nur auf 8,50 Euro festgesetzt: Auf einen Stundenlohn also, der so niedrig ist, dass man von ihm schon bei einem Vollzeitjob und ohne Kinder kaum leben kann.
Ein Lohn, der sogar noch unter fast allen Branchen-Mindestlöhnen liegt. Viele Reinigerinnen, Elektriker, Bauarbeiter werden sich daher jetzt anhören dürfen, dass sie doch mit ihren Löhnen mehr als zufrieden sein könnten, weil sie ja schon 9 Euro oder „sogar“ 11 Euro erhalten!

Quasi in allen Fragen hat die Regierung dem Druck der Unternehmer nachgegeben – zu Lasten von Millionen Arbeitenden und ihren Familien. Denn sie bekommen nun einen Mindestlohn, mit dem ihre Niedriglöhne und ihre Armut nicht enden, sondern weitergehen.

Das aber hindert die Unternehmer nicht daran, selbst über diesen Mindestlohn noch zu jammern. Schon sagen die ersten, sie müssten wegen des „hohen“ Mindestlohns die Preise erhöhen. Schon drohen die nächsten, sie müssten deswegen Beschäftigte entlassen. Schon beginnen die übernächsten zu erzählen, der Mindestlohn würde die Firma in den Ruin treiben, wenn die Arbeitenden ihn nicht ausgleichen… indem sie schneller arbeiten oder bei Teilzeit weniger Stunden bekommen. Und wir werden uns darauf einstellen können, dass die Unternehmer noch viele Angriffe mit dem Mindestlohn rechtfertigen werden.

Denn ja, die Kapitalisten besitzen die Dreistigkeit, uns Arbeitende für ihre steigenden Preise, ihre Entlassungen, für all ihre Verschlechterungen unserer Arbeitsbedingungen verantwortlich zu machen. Und nicht nur beim Mindestlohn: Ständig und überall versuchen sie uns das Gefühl zu geben, dass wir eine Last wären, dass wir zu teuer wären, zu anspruchsvoll, dass unsere Löhne die Betriebe „überfordern“ würden. Das ist eine große Lüge.

Die Preise müssen steigen, weil die Löhne steigen? Von wegen. Wenn man nach dieser Logik geht, dann hätten Plasmabildschirme in den letzten zehn Jahren nicht billiger werden dürfen, da die Löhne in dieser Branche sich kaum verändert haben. Tatsächlich aber sind sie um 200% billiger geworden. Löhne und Preise haben nämlich so gut wie nichts miteinander zu tun. Allein schon, weil die Löhne nur einen sehr kleinen Teil der Produktionskosten ausmachen.
Der wirkliche Zusammenhang besteht nicht zwischen Löhnen und Preisen, sondern zwischen Löhnen und Gewinnen. Wenn die Unternehmer unsere Löhne drücken, erhöhen sie damit ihre Gewinne. Und wenn umgekehrt wir Arbeitenden spürbare Lohnerhöhungen durchsetzen würden, dann könnte dies ihre Gewinne etwas schmälern. Eben weil Löhne und Gewinne direkt zusammenhängen, sind für sie höhere Löhne immer eine „unmögliche“ Überforderung.

Ja, wenn die Aktionäre der Curanum-Pflegeheimkette oder der Essanelle-Frisörkette Millionen, die Aktionäre von Axel Springer hunderte Millionen und die von McDonalds sogar 7 Milliarden Euro in nur einem Jahr als Dividende (Gewinnbeteiligung) ausgezahlt bekommen, wenn solch gigantischen Summen also jedes Jahr aus den Firmen abgezogen werden und auf die privaten Konten einiger Aktionäre wandern – dann ist das für sie keine Überforderung ihrer Firma. Aber wenn die Beschäftigten dort auch nur einen ärmlichen Mindestlohn von 8,50 Euro verlangen, dann schreien sie, das sei der Ruin der Firma.

Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die Betriebe wären nicht gebaut, würden nichts produzieren und verkaufen, wenn es nicht Arbeitende gäbe, die Leitungen verlegen, Maschinen bedienen, fahren, kassieren, kurz gesagt dort arbeiten würden. Durch unsere Arbeit laufen die Betriebe. Entgegen ihrer Propaganda ist es gar nicht möglich, dass unsere Löhne die Unternehmen ruinieren, dass die Unternehmen sich uns Arbeitende nicht leisten können. Im Gegenteil, wir schaffen erst ihren ganzen Reichtum.

Wenn, dann stellt sich die Frage daher anders herum: nämlich ob wir uns die Unternehmer und ihre Dividenden leisten können.

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