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Nr. 119, Mai 2019 - Leitartikel

Gegen das Europa der Konzerne – für ein Europa der Arbeiter

Nicht nur Parteien, auch Konzerne machen diesmal Wahlkampf. Sie rufen die Arbeiter dazu auf, bei der Wahl am 26. Mai „für Europa“ und damit „für Freiheit und Wohlstand“ zu stimmen.

Welch ein Hohn aus dem Mund der Konzernchefs von ThyssenKrupp, VW, Siemens oder Bayer, die alle gerade tausende Entlassungen ankündigen und damit vorführen, was sie sich unter Freiheit und Wohlstand für uns Arbeiter vorstellen: Die Freiheit, uns zu entlassen und uns in den „Wohlstand“ von HartzIV zu zwingen!

Freiheit und Wohlstand hat die Europäische Union nur den Kapitalisten gebracht. Sie hat den Kapitalisten einen großen, einheitlichen Absatzmarkt geschaffen, auf dem sie ihre Waren zollfrei verkaufen können. Doch Arbeitsrecht, Sozialleistungen und Löhne sind in keiner Weise vereinheitlicht.

Der Mindestlohn beträgt in Osteuropa fast überall unter 500 Euro, in Bulgarien sogar nur 286 Euro. Selbst elementare Rechte der Frauen – wie das Recht, selber über eine Schwangerschaft zu entscheiden – werden nicht in allen EU-Ländern gewährt.

Und wie bitter muss das Wort Freiheit in den Ohren der Migranten klingen, die die Europäische Union in libyschen Lagern wie Sklaven halten lässt oder deren Angehörige im Mittelmeer ertrunken sind, weil die Europäische Union ihre Außengrenzen in eine Festung verwandelt hat!

Alle herrschenden Parteien, die heute „für Europa“ antreten, wollen dieses Europa im Interesse der Kapitalisten fortführen. Während SPD und Grüne dies unter ein paar sozialen Phrasen verstecken, sagen CDU, FDP und CSU offen: Sie wollen mehr „europäischen Zusammenhalt“, um... Handelskriege gegen China und die USA führen zu können. Sie wollen Europa „fit für die Zukunft“ machen... indem sie noch mehr
für Rüstung und Militär ausgeben!
Ihr Europa ist ein Abbild der weltweiten Entwicklung aus Krise, wachsender Armut, Handelskriegen und Kriegen, in die uns der Kapitalismus derzeit reißt.

Doch diejenigen, die uns wie die AfD weismachen wollen, wir wären ohne die EU, in einem von hohen Grenzmauern umgebenen deutschen Staat besser dran, sind noch schlimmer.

Sie behaupten ernsthaft, die deutsche Industrie müsse entlassen, weil „die überzogenen Umweltgesetze aus Brüssel sie dazu zwingen würden!“ Ach ja, hat etwa „Brüssel“ die Bosse der deutschen Autokonzerne gezwungen, über Jahre bei den Abgasen dreist zu betrügen und Profite zu scheffeln – und dann die Folgen von den Arbeitern der Autokonzerne und der einfachen Bevölkerung ausbaden zu lassen?

Und hat Brüssel etwa die Hartz-Gesetze eingeführt, mit deren Hilfe die Konzerne immer mehr Arbeitende in Niedriglöhne und Teilzeit zwingen? Hat Brüssel die Rente mit 67 oder die Privatisierungen von Krankenhäusern und Wohnungsgesellschaften durchgesetzt? Nein, für all die sozialen Verschlechterungen der letzten Jahre ist der deutsche Staat ganz allein verantwortlich.

Für die täglichen Sorgen der arbeitenden Bevölkerung ist nicht Europa verantwortlich, sondern die Kapitalisten, die ihre Interessen und ihre Gier nach immer mehr Profit auf dem Rücken der Arbeitenden durchsetzen – wobei ihnen der deutsche Staat ebenso wie die EU nach Kräften helfen.

Demgegenüber müssen wir unsere Interessen als Arbeiter verteidigen. Und dabei sitzen die Arbeiter in ganz Europa im gleichen Boot. Die meisten Firmen, für die wir arbeiten, haben auch Werke in anderen EU-Ländern. Ford, Bayer, Thyssen und VW planen nicht nur Massenentlassungen und Werksschließungen in Deutschland, sondern in mehreren Ländern. Um uns zu wehren, müssen wir zusammenhalten. Allein schon deshalb sind Grenzen und Nationalismus Gift für uns.

Über die Landesgrenzen hinweg sind wir Arbeiter Teil einer gemeinsamen Klasse, mit denselben Interessen. Und überall stellt sich uns nicht zuletzt die gleiche grundlegende Frage: Wie können wir die Kapitalisten daran hindern, immer weiter zu entlassen, die Arbeitsbedingungen zu verschlimmern und die Löhne zu drücken? Wie können wir sie daran hindern, Preise für lebenswichtige Dinge wie Miete, Strom oder Lebensmittel immer weiter hochzutreiben? Wie können wir sie daran hindern, für ihren Profit die Umwelt zu ruinieren, immer mehr Waffen zu produzieren und für Öl und Absatzmärkte Kriege zu führen?

Ein Sturm der Entrüstung ist kürzlich ausgebrochen, als ein junger SPD-Politiker – wohl um von sich reden zu machen – die Frage aufwarf, ob die Konzerne nicht besser der Allgemeinheit gehören sollten. Von der AfD über CDU und CSU bis zur SPD und den Grünen verteidigten alle das heilige Recht der Kapitalisten, ganz allein über die Betriebe zu entscheiden – selbst wenn sie die Welt damit in den Abgrund treiben. Für all diese Politiker soll eine andere Gesellschaftsordnung nicht denkbar sein.

Doch es ist genau umgekehrt: Was nicht denkbar ist, ist eine Zukunftsperspektive im Kapitalismus. Die arbeitende Bevölkerung wird den Kapitalisten die Konzerne wegnehmen müssen. Durch ihre zentrale Rolle in der Wirtschaft hat sie die Macht hierzu. Sie muss demokratisch entscheiden, was produziert wird, zu welchen Bedingungen... und zwar nach den Bedürfnissen von Menschen und Umwelt – und nicht nach Profit.

Dies ist der einzige Ausweg aus der bedrohlichen Spirale aus Nationalismus, Handelskriegen und Krieg, die die wirtschaftliche Krise des Kapitalismus hervorruft.

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