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Nr. 29, März 2011 - Leitartikel

Das größte Risiko für die Menschen ist der Kapitalismus

Niemand bleibt wohl gleichgültig angesichts des Schreckens und des Leids der Menschen in Japan. Über 7.200 Tote wurden bislang aus dem Trümmerfeld geborgen, das der Tsunami hinterlassen hat. Viele weitere werden noch vermisst. Und nun erlebt das Land ein Atomunglück, dessen Ausmaß und Folgen noch nicht absehbar sind.

Das ungeheure Erdbeben der Stärke 9,0 und der darauffolgende Tsunami haben derartige Schäden verursacht, dass alle Kühlsysteme des Atomkraftwerks Fukushima versagt haben.
Beide Katastrophen hängen also zusammen. Dennoch besteht zwischen ihnen ein wesentlicher Unterschied: Erdbeben und Tsunami sind Naturkatastrophen. Sie passieren, und die Menschheit kann nur darum ringen, ihre schmerzlichen Folgen so gering wie möglich zu halten. Das heutige nukleare Drama hingegen ist die Folge einer gravierenden Störung in einer Technik, die die Menschheit selber geschaffen hat.

Allerdings ist nicht die Technik an sich in erster Linie das Problem, sondern dass der Kapitalismus in keiner Weise darauf ausgerichtet ist, die Technik im Interesse der Gesellschaft zu entwickeln und sie nur in dem Maße zu verwenden, wie man sie schon beherrscht. Was und wo etwas gebaut und eingesetzt wird und welche Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden, wird nicht gemeinsam und nach den Interessen der Menschheit entschieden.
Nein, das oberste Kriterium ist der Profit. Und das hat fürchterliche Folgen.

Wer kann garantieren, dass es bei dem betroffenen Atomkraftwerk anders war? Dass es nicht an einem Ort gebaut wurde, an dem man es nicht hätte bauen dürfen? Dass es in diesem Risikogebiet auf dem neusten Stand der Technik war? Dass wirklich alle möglichen und notwendigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden?
Man kann zumindest stark daran zweifeln. Erst recht, wenn man heute mitbekommt, dass der Betreiberkonzern Tepco seit Jahren Sicherheitsmängel und sogar Störungen bei Erdbeben vertuscht hat – offensichtlich mit Billigung des japanischen Staates.

Japan hat wie kein anderes Land eine wirkliche Infrastruktur geschaffen, um die Bevölkerung vor den Folgen der Erbeben zu schützen, mit erdbebensicheren Bauten, Rettungsplänen sowie Erdbebentrainings schon in Kindergarten und Schule. Wie viele Menschen wären bei diesem gigantischen Beben und dem Tsunami ohne diese Infrastruktur gestorben? Auf Haiti jedenfalls hat ein deutlich schwächeres Beben ohne Tsunami… über 200.000 Menschen getötet.

Doch die Durchsetzung von Sicherheitsmaßnahmen hört offensichtlich dort auf, wo die Profitinteressen großer Konzerne ernsthaft dagegen stehen, wie eben beim weltweit größten Stromkonzern Tepco. Oder in Deutschland bei Energiekonzernen wie Vattenfall, dessen alter Reaktor Krümmel trotz ständiger Störfälle bis heute weiter produzieren durfte.

Sicherheit kostet Geld, viel Geld – und das sind die Konzerne nicht bereit, auszugeben. Wissentlich nehmen sie damit die bedrohlichsten Gefahren für die Menschheit in Kauf. Diese Gefahren sind im Bereich der Atomenergie von besonders schlimmem Ausmaß. Doch wie viele Tote, auf Lebzeit Geschädigte und verseuchte Gegenden werden weltweit verursacht durch Explosionen von Chemiefabriken wie in Bhopal oder Ölkatastrophen wie im Golf von Mexiko oder Nigeria? Wie viele Menschen sterben an Arbeitsunfällen durch fehlende Sicherheit oder werden auf Lebzeiten krank durch ungeschützte Arbeit mit Giften, mit PCB, mit Asbest oder in Kohlegruben…
Ganz zu schweigen von den Katastrophen, die insbesondere die USA in Kriegen sogar bewusst hervorrufen… bis dahin, dass sie 1945 zwei Städte in Japan, Hiroshima und Nagasaki, gezielt atomar verseuchten.

Dass die moderne Technik und die wirtschaftlichen Entscheidungen in den Händen dieser Leute, in den Händen einer kleinen Minderheit liegen, darin besteht die große, ernsthafte Bedrohung für die Menschheit.

Erst wenn wir uns von dieser Gesellschaftsordnung, deren einziger Motor der Profit ist, befreien, dann kann die Menschheit bewusst Entscheidungen treffen, auch in der Energiefrage. Dann kann sie im Interesse der gesamten Menschheit planen, was gebraucht wird, kann verschiedene Alternativen in der Herstellung mit ihren Risiken und Nutzen abwägen, kann dementsprechend auch die Forschung entwickeln.

Dann kann sie auch entscheiden, wo und unter welchen Bedingungen etwas hergestellt wird, so dass Produktion und Verteilung möglichst effizient und logisch, sicher und umweltschonend sind und außerdem jederzeit unter der Kontrolle von Arbeitern, Anwohnern und Verbrauchern stehen.
Es ist der einzige Weg, der Umwelt und der Menschheit größtmögliche Sicherheit, Entfaltung und Schutz zu bieten.

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