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Nr. 96, April 2017 - Internationales

Russland: Wie geht es weiter mit den Protesten gegen die Regierung?

Es scheint wahrscheinlich, dass der Terroranschlag, der am 3. April in der U-Bahn von St. Petersburg 14 Menschen getötet und viele verletzt hat, tatsächlich das Werk einer islamistischen Terrorgruppe ist. Es wäre nicht der erste Anschlag dieser Art. Doch für Präsident Putin und seinen Premierminister Medwedjew hätte der Anschlag zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können. Bis dahin nämlich hatten sie im Mittelpunkt gestanden. Sie waren die Zielscheibe von Protesten gewesen, die sich gegen die Korruption richteten, die die gesamte Gesellschaft durchdringt, und gegen die Regierung, die diese Korruption schützt und fördert.

Begonnen hatten die Proteste, nachdem ein Film des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny öffentlich gemacht hatte, wie sich der Premierminister Medwedjew durch Betrug und Korruption ein riesiges Immobilien-Imperium aufgebaut hat. Der Film wurde selbstverständlich sofort verboten, doch im Netz haben ihn sich 14 Millionen Menschen angeschaut – mehr als jeden kommerziellen Film.

Nawalny selbst hat dabei natürlich seine eigenen Pläne. Er ist Putins gefährlichster Gegenkandidat bei den Wahlen, und Putin hat ihn daher schon mehr als einmal vor Gericht stellen lassen. Doch auch wenn die Presse hier Nawalny gerne als Hoffnung der Demokratie für Russland bezeichnet, nennt Nawalny sich selber Monarchist. Seine Basis ist vor allem das liberale Bürgertum der Großstädte; Anwälte, Händler, Geschäftemacher aller Art, denen er verspricht: Wenn er an die Macht komme, könnten sie sich mehr bereichern und müssten weniger an die korrupten Politiker abgeben. Darüber hinaus vertritt Nawalny eine sehr nationalistische Politik, die sich massiv gegen Einwanderer richtet.

Bei den großen Demonstrationen jedoch, zu denen sein Film am 26. März geführt hat, kamen neben diesen bürgerlichen Schichten auch viele andere: Zahlreiche Schüler, die die Politik gerade erst entdecken und von der Korruption der Politiker angewidert sind. Außerdem Rentner und Arbeiter. Einige von ihnen ergriffen das Wort in den Versammlungen und redeten über die Probleme, die die arbeitende Klasse direkt betreffen: Über die Löhne, die nicht gezahlt werden, über die Schulen und Straßen, die verfallen... Sie warfen Fragen auf, die weit über das Problem der Korruption hinausgingen.

Die Regierung hat die Proteste mit Gewalt niederschlagen und 1000 Teilnehmer zeitweilig verhaften lassen. Eine Woche später versuchten erneut Menschen in Moskau zu demonstrieren, wieder wurden dutzende von ihnen verhaftet. Putin und Medwedjew hoffen nun, dass der Terroranschlag in Petersburg und die Jagd nach den Terroristen bei der Bevölkerung alles in Vergessenheit geraten lassen. Ob dies der Fall sein wird, kann niemand mit Sicherheit sagen. Doch sicher ist, dass die arbeitende Bevölkerung ihre täglichen, wachsenden Probleme auf Dauer nicht vergessen kann und keine andere Wahl hat, als ihre Empörung darüber zum Ausdruck zu bringen.

(nach einem Artikel unserer Genossen von Lutte Ouvrière vom 5. April 2017)

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