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Nr. 144, Juli 2021 - Ihre Gesellschaft

Würzburg wirft ein Licht auf die kriminelle Sparpolitik in den Psychiatrien

Drei getötete Frauen und fünf schwer Verletzte: Das ist das fürchterliche Ergebnis des Amoklaufes in Würzburg. Und es hätte wohl noch schlimmer geendet, hätten sich nicht junge Männer verschiedener Nationalitäten dem Täter in den Weg gestellt und versucht, ihn aufzuhalten.

Auch mehrere Tage danach ist nicht viel über die Motive des 24jährigen Mannes aus Somalia bekannt, der Anfang 2015 vor Bürgerkrieg und islamistischen Terrorgruppen nach Deutschland geflohen war und zunächst in Chemnitz gewohnt hatte, wo er 2018 Zeuge wurde, wie bei den rechtsradikalen Hetzjagden ein Freund zusammengeschlagen wurde.

Noch immer wird gerätselt, ob auch isla-
mistische Motive mit eine Rolle gespielt haben könnten. Dafür wurden bislang keine Indizien gefunden. Bestätigt ist hingegen, dass der Mann eine schwerwiegende psychiatrische Erkrankung hatte.

Mehrere Wochen lang wurde er wegen psychotischer Wahnvorstellungen in der Psychiatrie behandelt, nachdem er in der Würzburger Obdachlosenunterkunft (in der er mittlerweile lebte) Bewohner und Mitarbeiter mit einem Messer bedroht hatte. Doch dann wurde er wieder entlassen.
Einige Zeit später stieg er plötzlich in ein wildfremdes Auto ein und forderte den Fahrer auf, ihn zur Psychiatrie zu fahren, aus der er aber einen Tag später erneut entlassen wurde... zehn Tage vor seinem Amoklauf. Denn es gibt in dieser Gesellschaft kein Netz von Einrichtungen, das schwer psychisch kranke Menschen begleitet und auffängt – erst recht nicht für Geflüchtete ohne Familie mit unsicherem Aufenthaltsstatus.

Seit in 1970er Jahren die Zahl der Betten in den Psychiatrien drastisch reduziert wurde, werden schwer psychisch Kranke oft schlicht sich selbst überlassen. Viele landen auf der Straße oder in Obdachlosenunterkünften, wo sie unter unwürdigen Bedingungen leben und ihre Krankheit kaum oder gar nicht behandelt wird.

In Würzburg hat diese systematische unterlassene Hilfeleistung der Gesellschaft ein mörderisches Ende gefunden.

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