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Merkel-Macron: eine Absichtserklärung

Der Artikel ist eine gekürzte Übersetzung eines Artikels unserer französischen Genossen von Lutte Ouvrière in ihrer gleichnamigen Zeitung vom 27. Mai 2020.

Am 18. Mai haben Merkel und Macron vorgeschlagen, dass die Europäische Union einen Kredit in Höhe von 500 Milliarden Euro aufnimmt und damit Rettungspakete für Firmen sowie Konjunkturpakete finanziert – vor allem in den Mitgliedsstaaten, die von der Krise wirtschaftlich am härtesten getroffen sind. Bislang ist es nur ein Vorschlag, doch er soll einen Wendepunkt markieren. Bislang muss jeder EU-Staat nämlich die Kredite, die er braucht, selber aufnehmen, wobei die Banken von den wirtschaftlich schwächeren Staaten in Süd- und Osteuropa deutlich höhere Zinsen verlangen.

In der Covid-19-Krise aber haben alle Staaten unzählige Hilfsprogramme für ihre Industrie, ihre Hotelketten und ihre Tourismusbranche gestartet – ganz zu schweigen von den Löhnen, die sie (in Form von Kurzarbeitergeld) anstelle der Unternehmen gezahlt haben. Kein Staat besitzt die gigantischen Summen, die sie hierfür ausgeben. Alle Staaten müssen Kredite aufnehmen, und prompt fangen die Zinssätze für solche Anleihen an zu steigen. Wenn nichts unternommen wird, werden die Banken bald von Ländern wie Spanien oder Italien, die von den Folgen von Covid-19 besonders hart getroffen sind und die eigentlich schon vorher in der Krise waren, Wucherzinsen verlangen. Sie laufen Gefahr, wie Griechenland 2015 von den Zinsen erdrosselt zu werden oder bankrottzugehen. Die Eurozone, die bereits mehrfach zwischen 2010 und 2015 ins Wanken geraten ist, würde das nicht überleben. Daher kommt der Vorschlag von Macron und Merkel, dass die EU direkt einen Kredit aufnimmt und damit ein EU-weites Konjunkturprogramm finanziert. Denn dieser Kredit könnte zu günstigeren Zinssätzen aufgenommen werden, als die einzelnen, vor allem die besonders angeschlagenen Staaten, sie bekommen würden.

Während der vorherigen Euro-Krisen haben Deutschland und Frankreich solche gemeinsamen Kredite immer abgelehnt – unter dem verlogenen Vorwand, dass keine Bevölkerung die Schulden eines anderen Landes zahlen solle, das angeblich zu „verschwenderisch“ gewesen sei. Unter dem Vorwand, „dass jeder seine Schulden bezahlen muss“, haben sie einzig einer Umschuldung Griechenlands zugestimmt und als Gegenleistung einen dramatischen Sparplan für die einfache Bevölkerung verlangt.
Die Schuldverschreibungen der Staaten sind dadurch abgesichert, dass die EZB sie in großen Mengen aufkauft – was letztlich bedeutet, dass die EZB immer mehr Geld druckt. Doch in der aktuellen Krise, die viel schwerwiegender ist und alle Länder trifft, reicht diese Flickschusterei nicht mehr aus, die das deutsche Bundesverfassungsgericht obendrein gerade gerügt hat. Deshalb haben die französische und die deutsche Regierung ihre Taktik geändert.

Die deutschen und französischen Konzerne werden die Hauptnutznießer dieser gemeinsamen EU-Anleihe sein. Denn ob Automobilkonzerne, Großhandels- oder Hotelketten, sie alle haben Niederlassungen in allen europäischen Ländern und machen dort Geschäfte. Aus denselben Gründen wollen diese Kapitalisten außerdem, dass die Eurozone überlebt.

Allerdings gibt es mit Österreich, den Niederlanden und den skandinavischen Ländern eine Gruppe von Staaten, die diesem Projekt sehr feindlich gegenübersteht. Sie werden „die Sparsamen“ genannt, weil sie wenig verschuldet sind und kein massives Konjunkturprogramm geplant haben. Sie lehnen es ab, gemeinsame Schulden zu zahlen, von denen ihre Kapitalisten nur in geringem Maß profitieren werden. Und sollten es Merkel, Macron, Conte, Sanchez und andere europäische Regierungschefs am Ende schaffen, sie irgendwie umzustimmen, dann werden die Verhandlungen darüber, wie die geliehenen Gelder verteilt werden, wahrscheinlich endlos dauern.

Wie so häufig seit der Geburtsstunde der Europäischen Union prallen die kollektiven Interessen der europäischen Kapitalisten auf ihre direkten Einzelinteressen. Das ist der Grund, weshalb die EU und ihre gemeinsame Währung so zerbrechlich sind – ganz besonders in Krisenzeiten.